Der Berliner Sportjournalist Ronny Blaschke hat ein Buch über den Zusammenhang zwischen Fußball und Kolonialismus geschrieben. Am 25. Juni 2024 stellt er Gedanken zu seinem Buch „Spielfeld der Herrenmenschen“ im Rahmen eines Impulsvortrags mit anschließender Podiumsdiskussion im Dreisamstadion vor. Wir konnten vorab mit ihm sprechen.
Herr Blaschke, ein Buch über Kolonialismus und Rassismus im Fußball. Warum jetzt?
Ronny Blaschke: Man hätte das eigentlich immer schon schreiben können. Ich verfolge das Thema schon seit 20 Jahren und habe 2007 das Buch „Im Schatten des Spiels“ veröffentlicht. Da ging es zum großen Teil um Rassismus. Ich glaube, dass ich das Wort Kolonialismus damals nicht einmal habe fallen lassen, weil damals die Zeit noch nicht reif war. Obwohl wir die gleichen Themen hatten wie jetzt. In der Kultur und in der Politik läuft seit einigen Jahren die Diskussion über die koloniale Vergangenheit und dass unsere Museen gefüllt sind mit Raubgütern aus den Kolonien. Aber keiner stellt sich im Sport oder im Fußball, der ja oft hinterher hinkt, die Frage, was das mit dem Fußball zu tun hat. Und das ist mir dann nach den ersten flüchtigen Recherchen aufgefallen: Ohne den Kolonialismus würde es den Fußball als globalen Sport gar nicht geben.
Wie sind Fußball und Kolonialismus denn miteinander verflochten?
Ronny Blaschke: Wir wissen, dass England als Mutterland des Fußballs und Großbritannien die größte Kolonialmacht in der Geschichte gewesen ist. Und warum haben sie den Fußball überall verbreiten können? Weil sie überall mit ihren Schiffen, mit Soldaten und Missionaren unterwegs waren, um Wohlstand, Rohstoffe und Menschenleben für die britische Krone zu sichern. Und dann haben Soldaten in Indien, in Afrika in der Freizeit Fußball gespielt und dabei eben auch den Fußball verbreitet. Lange durfte man etwa in Indien gar nicht mitspielen. Es durften nur die mitspielen, die sich gut gestellt haben mit der britischen Kolonialmacht. Also war Fußball am Anfang ein koloniales Kontrollinstrument.
Wie ist Kolonialismus überhaupt entstanden?
Ronny Blaschke: Die Europäer mussten ja die Ausbeutung und ihre Sklaverei irgendwie rechtfertigen und sie haben dafür Menschenrassen erfunden, die es bekanntlich nicht gibt. Aber seit dem späten 17. Jahrhundert wurde uns wissenschaftlich eingebläut: Es gibt eine weiße intellektuelle Überlegenheit und eine schwarze körperliche Überlegenheit – ganz vereinfacht formuliert.
Wie kommt es, dass bestimmte Positionen eher mit hellhäutigen, andere eher mit dunkelhäutigen Spielern besetzt wurden?
Ronny Blaschke: Eine der wenigen im Fußball bekannten Studien ist von Berliner Forscherinnen und Forschern vom Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM), die sich mal die Bundesliga und die 2. Bundesliga und alle Spielpositionen angeschaut haben. Sie haben hochgerechnet, dass die Positionen des Zehners oder des Sechsers, also die vermeintlich kreativen, spielintelligenten Positionen, überproportional von weißen Spielern und die kraftvollen, athletischen und explosiven Positionen, überproportional von schwarzen Spielern besetzt sind. Und auch in den Medien, wo die Kommentatoren meistens männlich und meistens weiß sind, gibt es Studien in verschiedenen Ländern, die belegen, dass die Kommentatoren bei schwarzen Spielern andere Sachen bewerten und beurteilen als bei weißen Spielern. Das kann man nicht leicht skandalisieren und sie als Rassisten abstempeln.
Also sind es eher Stereotype, die wir da im Kopf haben?
Ronny Blaschke: Genau, die Leute reflektieren das dabei ja nicht. Seitdem ich das recherchiert habe vergeht über all die Jahre kein Tag, an dem ich nicht an mir Stereotype beobachte, wie ich die Welt scanne, wie ich die Menschen in der U-Bahn scanne, was ich damit verbinde in der allerersten Millisekunde und dann ärgere ich mich über mich selbst. Man könnte es als Rassismus auf den zweiten Blick bezeichnen. Und es ist der Anspruch des Buches, mithilfe des Fußballs Leute zum Nachdenken zu bringen.
Wer so etwas selbstkritisch anmerkt, muss sich dafür unter Umständen einiges anhören…
Ronny Blaschke: Es kommt immer darauf an, wie man das artikuliert. Es ist auch ein Problem im Fußball, wie wir darüber sprechen. Mein Freund ist Ausländer – das war die erste große Kampagne Anfang der 90er Jahre, also vor mehr als 30 Jahren. Und wir hangeln uns von einer großen Empörung zur nächsten. Fußball ist emotional, da will man sich nicht so gerne kritisieren lassen und sobald man jemanden als Rassisten bezeichnet, macht man die Tür für eine sachliche Debatte schon zu. Es ist mein Anspruch, da eine differenzierte, ruhige Debatte ohne Vorwürfe zu gestalten.
Und die kann man in Freiburg führen?
Ronny Blaschke: Freiburg ist dafür ein guter Raum, da braucht man ein gutes Umfeld, denn das geht nicht nur mit einer Respekt und Rote Karte gegen Rassismus Kampagne. Natürlich erreichen wir auch hier eher die Menschen, die sich ohnehin schon für Rassismus interessieren. Aber über einen Fußballclub wie den SC Freiburg erreiche ich wesentlich mehr Menschen, als wenn ich das alleine versuchen würde. Bei den 30 oder 40 Veranstaltungen, die jetzt noch geplant sind, sind meist politische Stiftungen und Hochschulen dabei, es kommen relativ wenige Einladungen aus dem Fußball selbst. Allerdings waren wir auch schon im Borusseum, dem Fußballmuseum von Borussia Dortmund, da erreichen wir über den Fußball Leute, die sich sonst nicht für klassische politische Bildung interessieren. Aber über den Fußball kommen sie zu diesem Thema – und das ist wirklich von unschätzbarem Wert. Ins Dreisamstadion werden sicher auch fünf oder sechs Leute kommen, die keinen Bock auf das Thema Rassismus haben, aber weil es ihr Lieblingsverein ist, kommen sie da hin und hören zu.
Man könnte die Eingangsfrage auch anders formulieren: Der richtige Zeitpunkt für eine Beschäftigung mit diesen Themen ist jetzt, oder?
Ronny Blaschke: Absolut. Der klassische Rassismus im Stadion ist heute nicht mehr so sichtbar, aber diese Einstellungen sind immer in den Menschen drin und im Fußball sogar noch mal deutlicher, wie eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung feststellte. Die haben den Befragten Aussagen vorgelegt, zum Beispiel: Schwarze Menschen sind im Sport talentierter, obwohl es dafür keinen Beleg gibt. Dieser pauschalen Aussage stimmen schon mal fast 40 Prozent der Befragten zu, bei Leuten, die im Fußballverein sind, sind es sogar noch mal zehn Prozent mehr. Wir machen es uns oftmals leicht und zeigen mit dem Finger auf die AfD, auf Neonazis und auf Hooligans, aber für mich ist es das Ziel, unseren eigenen Rassismus zu hinterfragen.
Warum haben Sie den Titel „Spielfeld der Herrenmenschen“ gewählt?
Ronny Blaschke: Herrenmenschen ist ein krasses Wort. Ich habe vorher auch Menschen, die Rassismuserfahrungen gemacht haben befragt, ob es nicht fast schon ein wenig übergriffig ist, wenn man es verwendet und ob man damit nicht abschreckt. Aber ich war in Indien, in Namibia, in Brasilien, also in ehemaligen Kolonien und habe gesehen, wie sehr Menschen darunter gelitten haben und immer noch leiden. Wo werden unsere Bälle und Trikots hergestellt? In Pakistan, in Bangladesch. Da werden Menschen dafür ausgebeutet. In Brasilien gibt es Fußballvereine, die werden nur dafür gegründet, Fußballtalente für Europa zu „produzieren“. Das alles kann man also ganz gut unter dem Oberbegriff ‚Herrenmenschen‘ zusammenfassen.
Also krankt der Fußball traditionell und geschichtlich gesehen noch immer etwas unter diesen Themen, kann sich aber auch ein Stück weit wieder selbst heilen?
Ronny Blaschke: Das kann schon sein, der Fußball muss aber auch noch ein bisschen dahin gedrängt werden. Es müssen schon auch Leute von außen kritisch draufblicken, die aus ihrer Verbundenheit sagen: Das ist mein Verein, das ist meine Stadt und hierfür lernen wir uns kennen und machen es dann besser.
Herr Blaschke, vielen Dank für dieses interessante Gespräch.