Der Historiker Robert Neisen erforscht im Auftrag des Sport-Club die SC-Geschichte während der NS-Zeit. Die Ergebnisse sollen im Oktober 2024 als Buch erscheinen.
Herr Neisen, Sie haben vom SC Freiburg den Auftrag erhalten, die Geschichte des Vereins während der NS-Zeit, salopp ausgedrückt, unter die Lupe zu nehmen. Was ist die Intention?
Robert Neisen: Der Sport-Club will - auch für diese Zeit - sehen und verstehen. Was war seine Rolle? Hat er mitgemacht, als die Nazis an der Macht waren? Hat er ideologische Elemente des Nationalsozialismus vielleicht auch für sich aufgegriffen? Hat er Leute ausgegrenzt? Wie hat er sich im Vergleich zu anderen Vereinen verhalten? All diese Dinge sollen so weit wie möglich herausgearbeitet werden. Zumal der SC Freiburg jetzt ja ein Verein ist, der für sich beansprucht, aktiv gegen alle Formen von Ausgrenzung und Diskriminierung einzutreten, respektive dafür, zu sensibilisieren. Da gehört die Aufarbeitung der eigenen Geschichte ja durchaus mit dazu.
Mal heißt es, das Archiv des Vereins sei beim großen Bombenangriff auf Freiburg im November 1944 ausgebrannt, später soll, was sich wieder angesammelt hatte, auf den Müll entsorgt worden sein. Vermutlich eine schwierige Ausgangslage für einen Forscher, oder?
Neisen: Es ist schon so eine Art Puzzlespiel. Aber es ist auch immer wieder erstaunlich, was man dabei alles herausfinden kann. Über das Studium von Vorgängern im Bereich der so genannten "Arisierung" etwa. Also wenn jüdischer Besitz enteignet wurde, was man oft über Wiedergemachungsverfahren herausfindet. In einer Vorstudie für den SC bin ich schon auf einen Fall gestoßen, in dem ein NSDAP- und SC-Mitglied involviert war. Erwin Stroh, der sogar Vereinsvorsitzender war.
Der SC-Archivar Uwe Schellinger stieß in Recherchen auf den jüdischen SC-Jugendleiter Hans Strauß und auf Sigmund Günzburger, der als früherer SC-Vizepräsident, weil er Jude war, in Auschwitz ermordet wurde...
Neisen: ...und natürlich werde ich auch zu diesen und vergleichbaren Fällen weitere Nachforschungen anstellen. Schicksale von Verfolgten herauszufinden, um ihr Andenken zu würdigen - das ist auf jeden Fall eines der wichtigen Ziele, die ich mit meinen Studien verfolge. Oder auch positive Beispiele zu finden. Bekannt ist ja zumindest in Teilen auch schon die Geschichte der Familie Knobloch, die über Generationen eng mit dem SC verbunden war: und dass und wie Willy Knobloch, der selbst ein Kommunist gewesen ist, der Familie des SC-Spielers Freddy Burgart und seiner jüdischen Frau zur Flucht nach Südafrika verhalf.
Man merkt, dass Sie schon ein Stück weit drinstecken in der SC-Geschichte jener Zeit...
Neisen: ...weil ich, wie schon gesagt, bereits eine Vorstudie zum Thema für den Sport-Club gemacht habe. Zudem beschäftige ich mich als Historiker nun schon seit 15 Jahren mit der Geschichte des Nationalsozialismus hier in Südbaden.
Und so sehr viel Zeit bleibt Ihnen jetzt auch gar nicht für das Projekt, die Geschichte des SC während der NS-Zeit zu erforschen.
Neisen: Die Studie soll im Oktober 2024 fertig sein,. Also in knapp eineinhalb Jahren. Ein bisschen Zeit ist also schon noch.
In welcher Form sollen die Ergebnisse Ihrer Arbeit am Ende denn präsentiert werden?
Neisen: Sie werden als Buch veröffentlicht werden. Als Länge haben wir ungefähr 200 Seiten vereinbart.
Ist ein 200-Seiten-Geschichtswälzer nicht ganz schön schwere Kost für Fußballfans?
Neisen: Ich denke nicht. Natürlich soll es wissenschaftlich präszise sein. Aber ich hoffe trotzdem, dass es mir gelingt, die Fakten so aufzubereiten, dass es für die vielen, vielen SC-Fans und -Sympathisantinnen und -Sympathisanten interessanten und spannenden Lesestoff bietet. Und ich bin eigentlich davon überzeugt, dass man das auch schaffen kann.
Apropos, verbindet Sie mit dem SC mehr als seine schon länger zurückliegende Vergangenheit?
Neisen: Ich verfolge ihn seit dem ersten Bundesligaaufstieg, war auch des öfteren bei Heimspielen im Stadion. Kürzlich auch mal im Neuen - selbst wenn es da ja fast noch schwerer ist, an Karten zu kommen, als früher.
Interview: Uli Fuchs
Dieser Text erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "Heimspiel", das hier auch im Abo erhältlich ist.
Foto: SC Archiv