"Die Kunst ist, was man daraus macht"

Profis
13.05.2024

Nach 25 Trainerjahren beim SC Freiburg verlässt Patrick Baier den Verein. Als ruhender Pol im Trainerteam der SC-Profis hat er in den vergangenen 15 Jahren die erfolgreichste Zeit der Club-Historie mitgeprägt.

Es war ein Rollentausch für einen Tag. Im Oktober 2022 vertrat Patrick Baier im Europa-League-Spiel gegen den FC Nantes den an Corona erkrankten Christian Streich als SC-Coach an der Seitenlinie. „Das war nach so vielen Jahren ungewohnt“, sagte Baier, seit 2009 Co-Trainer im Trainerteam der SC-Profis. „Die Coaching-Erfahrung war aber auch ein guter Perspektivwechsel. Unten spürst du eine andere Energie, ich habe es richtig genossen.“

Der eigentliche Platz des 56-Jährigen bei den Heimspielen des SC Freiburg im Europa-Park Stadion ist oben. Im dritten Stock, auf einem Balkon auf Höhe der Mittellinie, steht sein Arbeitstisch. Von dort aus beobachtet und analysiert Baier das Spiel unten auf dem Rasen, allein mit sich, aber per Headset mit Co-Trainer Florian Bruns auf der Bank verbunden. Dinge, die ihm auffallen, gibt er direkt weiter. Darüber hinaus markiert er auf dem Laptop Spielsequenzen und schneidet einzelne Szenen für die Halbzeitbesprechung zusammen, um gegebenenfalls Korrekturen im Spielangang der Mannschaft vornehmen zu können.

Den Weg hinunter in die Kabine wird der Analyst im Trainerteam heute zum letzten Mal bei einem Heimspiel zurücklegen. Zum Saisonende verlässt Patrick Baier den Sport-Club nach 25 Jahren, einem  Vierteljahrhundert mit dem Verein.

Im Jahr 1999 startete der frühere Spieler des SC Freiburg und des Freiburger FC seine Trainertätigkeit beim SC – wie  viele aus dem aktuellen Profitrainerstab als Jugendtrainer. Bis zwei Jahre später die Freiburger Fußballschule eröffnet wurde, übten die Juniorenmannschaften damals – unter anderem – noch auf dem Hartplatz am Dreisamstadion. Dort, wo heute die Parkplätze hinter der Haupttribüne sind. „Am Freitagabend vor dem Bundesligaspiel kamen die Fernsehübertragungswagen, und du musstest schauen, dass du deine Jungs vom Platz kriegst, weil die LKW einfach drauf gefahren sind und sich da breit gemacht haben“, erinnert sich Baier im SC-Podcast an seine Anfangszeit. Und ergänzt nach kurzem Nachdenken noch: „Das ist schon relativ spektakulär, was die letzten 25 Jahre hier passiert ist.“

Was die sportliche Entwicklung in diesem Zeitraum angeht, hat Baier selbst einen prägenden Anteil daran. Von Beginn an arbeitete er mit Christian Streich zusammen. Bis 2005 trainierten beide gemeinsam die A-Junioren, Baier als Coach der damals noch existenten U18. Als Trainer der U17 des Sport-Club stand er anschließend weitere drei Jahre an der Seitenlinie.

In der Saison 2008/09 erwarb Patrick Baier die UEFA Pro Lizenz, die höchste Trainerlizenz in Deutschland. Unmittelbar darauf holte ihn der damalige SC-Cheftrainer Robin Dutt in den Trainerstab der gerade wieder in die Bundesliga aufgestiegenen Profis. „Neben der Gegneranalyse hat mein Job von Anfang an auch die Arbeit mit der Mannschaft auf dem Platz beinhaltet“, sagt Patrick Baier rückblickend.

 Beide Schwerpunkte haben dann in den gesamten 15 Jahren, die seither vergangen sind, weiter seine Arbeit im Profi-Trainerteam bestimmt. Was auch heißt: Ob als Analyst auf dem Balkon hoch über dem Platz, ob vor dem Computer oder auf den ungezählten Reisen zu Gegnerbeobachtungen – immer ist es eine Arbeit eher im Hintergrund gewesen.

Was passt. Weil Patrick Baier kein Mensch ist, den es in die vorderste Linie drängt. Eher das Gegenteil. Von seinen Kollegen und im gesamten Verein wird der mittlerweile dienstälteste Co-Trainer in der Bundesliga gerade auch deshalb so geschätzt. Und natürlich für seine enorme Erfahrung und Fachkompetenz. „Er erledigt seine Arbeit zu 100 Prozent“,  sagt Klemens Hartenbach. Der Sportdirektor, der Baier bereits aus gemeinsamen Zeiten als aktiver Spieler kennt, schätzt einen Charakterzug besonders: „Patrick ruht in sich.“

Meistens jedenfalls. Baier selbst lässt keinen Zweifel, dass er auch mal ungemütlicher werden kann, „ein bisschen strenger“ nennt er das selber. Wenn er an seinem Beobachterpult sitzt und Dinge sieht, die ihm nicht gefallen. Dass der Gegner genauso spielt, wie es das Trainerteam erwartet hatte, die Mannschaft aber die vorgegebene Strategie beispielweise nicht umsetzt.

„Akribisch, sehr hart, durchdacht und strukturiert“ – so charakterisiert Christian Streich die Arbeitsweise seines Mit-Trainers, der eine wichtige Stimme in der heterogenen Trainergruppe ist. Oder wie es Klemens Hartenbach ausdrückt: „Er ist kein Laut- und Vielsprecher, aber wenn er was sagt, hat es richtig Gewicht.“

Patrick Baier hat als Trainer den Übergang von der Notizblock- in die Laptop-Zeit genauso miterelebt und souverän gemeistert wie den mit wachsenden Datenbanken einhergehenden radikalen Wandel bei der Gegnerbeobachtung. Dort hat der technische Fortschritt mit dem Zugriff auf alle gewünschten Spiele mittlerweile auch die eine oder andere Reise überflüssig gemacht.

Bis zu fünf Spiele des kommenden Gegners hat der gebürtige Freiburger analysiert, wenn das SC-Trainerteam mit der gemeinsamen Vorbereitung auf das nächste Spiel beginnt. Für die Kollegen hat er dann schon ein längeres Video vom kommenden Gegner zusammengeschnitten. Woche für Woche oder in Zeiten mit zusätzlichen Europapokalspielen auch mehrmals pro Woche. Eine Zeit fressende Fleißarbeit, die Baier mit dem ihm eigenen Understatement einordnet: „Ich betrachte die reine Spielanalyse als Handwerk“, sagt er. „Die eigentliche Kunst ist, was man daraus macht.“

Insbesondere in den zurückliegenden Jahren war das maximal viel. Baier und seine Kollegen im Trainerteam führten den Sport-Club allein in den vergangenen beiden Jahren auf die Tabellenplätze sechs und fünf in der Bundesliga, ins DFB-Pokalfinale 2022, ein Jahr später erneut ins Pokal-Halbfinale sowie zweimal hintereinander ins Achtelfinale der Europa League.

Eine sensationelle Bilanz, allemal für einen, der davor etliche Jahre im Abstiegskampf und einen Abstieg selbst mit durchlebt hat. Klar, dass diese sportlich erfolgreichste Zeit in der Geschichte des Vereins den Verantwortlichen neben zahllosen aufreibenden Arbeitswochen Glücksmomente zuhauf beschert hat.

Fahndungen nach einem Patrick Baier in ekstatischen Jubelposen verliefen aber auch da ergebnislos. „Ich freue mich wahnsinnig, wenn wir wichtige Spiele gewinnen“, sagt er. „Aber das geht bei mir sehr nach innen, ich lasse es nicht so raus, dass es alle wahrnehmen.“ Was noch einmal dokumentiert, wie da einer bei sich bleibt. Selbst wenn wieder ein Matchplan aufgegangen ist, den der studierte Architekt mit einer maßgeschneiderten Vorbereitung auf den Gegner entworfen hatte.

Spätestens hier würde der 56-Jährige aber wahrscheinlich schon wieder bedenklich den Kopf wiegen. „Zu diesem Spiel gehören so viele irrationale Faktoren, so viele gruppendynamische Prozesse, die da mit reinspielen“, sagt Baier. „Ich glaube, dass man seine eigene Position da nicht überbewerten soll.“

Grund, die Position von Patrick Baier unterzubewerten, gibt es aber auch keinen. Und wer nur ein bisschen in den Verein hineinhört, merkt schnell: am Ende seines Vierteljahrhunderts Sport-Club tut das auch niemand. Im Gegenteil. Selbst wenn er bei allem Trubel um die Demission des Cheftrainers auch zum Abschied wieder in seiner selbst gewählten Lieblingsrolle ist: weitgehend im Hintergrund, aber hoch geschätzt.

Dirk Rohde

Foto: SC Freiburg

Dieser Text erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "Heimspiel", das hier auch im Abo erhältlich ist.

 
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