Wer, wenn nicht Urs Fischer, muss vor dem Auswärtsspiel beim 1. FC Union Berlin in unserer Legenden-Rubrik zu Wort kommen? Der Kulttrainer der Köpenicker über den Abschied von Christian Streich und eine stattliche Bilanz.
Hallo, Urs Fischer! Wie geht es Ihnen?
Fischer: Es geht mir sehr gut. Ich genieße die Zeit, die ich zur Verfügung habe, mit der Familie. Und wir konnten uns auch mal wieder um den Freundeskreis kümmern.
Es gab ein berührendes Abschiedsvideo des 1. FC Union, bei dem deutlich wurde, dass Trennungen im Profifußball sogar anständig ablaufen können. Fühlt es sich immer noch richtig an für Sie?
Fischer: Ja, das Video war sehr gut, aber am Ende muss es für Union einfach reichen, die Bundesliga zu halten. Es ist noch einmal eng geworden.
Neben Ihrer eigenen speziellen Geschichte mit Union geht mit dieser Saison auch die Zeit von Christian Streich als Trainer des SC Freiburg zu Ende. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die Nachricht erreicht hat?
fischer: Wie soll sich sagen: Es ist ja eigentlich ein Wahnsinn, was er in Freiburg geleistet hat! Aber ich hatte zwischendurch schon ein bisschen das Gefühl, dass das passieren könnte. Er hat immer wieder betont, dass sein Akku voll sein muss. Sein Entschluss hat mich nicht verwundert.
Warum?
Fischer: Weil ich es nachvollziehen kann. Er ist auch ein Trainer, der unermüdlich ist und akribisch. Wenn da der Akku nicht mehr voll ist, wenn er zu sich selber sagt, dass er nicht mehr auf 100 Prozent laufen kann, dann wird es schwierig. Und so ehrlich ist er. Auch diese Entscheidung spricht für ihn.
Was macht den Job des Bundesligatrainers so anstrengend, dass man sich um den Ladestand sorgen muss?
Fischer: Es ist halt zwischendurch schon 24/7. Was für mich gut ist: Ich finde immer den Schlaf. Aber ich weiß von Kollegen, dass sie auch noch im Bett rumstudieren. Und wenn du ständig unter Strom bist, und am Spieltag und am Tag danach noch ein bisschen mehr, dann kostet das einfach Energie.
Christian Streich wird mit dem SC, und Urs Fischer wurde mit Union gleichgesetzt. Identifikation, die es nicht einfacher macht.
Fischer: Logisch, und je länger eine solche Zusammenarbeit geht, desto intensiver erlebst du jeden Erfolg, desto vehementer jeden Rückschlag. Bei Christian ist das ja noch spezieller mit seiner Zeit in der Jugendabteilung und dann als Trainer der ersten Mannschaft. Zwölf Jahre auf diesem Niveau Höhen und Tiefen zu erleben, da wird es persönlich. Und das kostet zusätzlich Energie, das steht fest.
Gibt es besondere Momente mit Christian Streich?
Fischer: Es sind viele Erlebnisse, wir haben uns ja meistens unmittelbar vor oder nach den Spielen ausführlich unterhalten. Ich mag mich auch noch gut daran erinnern, wie wir bei der ersten Trainertagung am Tisch gesessen sind und gequatscht haben.
Wie unterhalten Sie sich dann, auf Alemannisch?
Fischer: Also ich auf Mundart und er auf, ja …
... halt seine Form von Hochdeutsch aus dem Markgräflerland?
Fischer: Ich konnte jedenfalls ganz normal reden, und er hat mich verstanden.
Sind sie eigentlich auch mal aneinandergeraten?
Fischer: Nein, wir zwei nicht.
Sie haben Ihren Co-Trainer Markus Hoffmann vorgeschickt?
Fischer: Genau, der musste ab und an in den sauren Apfel beissen. Nein, es ist doch so, dass ich weiß, dass Christian während der 90 Minuten sehr impulsiv ist und, das muss man akzeptieren, weil er nichts vorspielt, sondern authentisch ist. Zehn Minuten nach Spielende sieht die Welt dann schon wieder anders aus.
Sie scheinen ja das richtige Rezept gegen den Sport-Club gehabt zu haben: Neun Spiele, fünf Siege und nur zwei Niederlagen – das spricht eindeutig für Sie und Union.
Fischer: Okay (lacht). Kann schon sein, dass Christian nicht so gerne gegen uns gespielt hat. Die Woche vor dem Spiel gegen Union haben vermutlich auch seine Spieler nicht so gerne gehabt. Man bekommt ja dies und jenes mit, und ich glaube, wir waren schon ein unbequemer Gegner für den Christian.
Was wird aus Ihrer Sicht der Liga von Christian Streich bleiben?
Fischer: Seine Authentizität – und natürlich die ein oder andere Pressekonferenz, in der auch über Politik oder andere gesellschaftliche Themen diskutiert wurde. Wo er als Mensch erkennbar war, der sich über den Fußball hinaus Gedanken macht. Und das auf seine eigene, kritische, aber auch humorvolle Art. Ich habe ihm das abgenommen. Und am Ende geht es darum, in den Spiegel schauen und sagen zu können: Ich bin ich selbst geblieben.
Was wünschen Sie Ihrem Kollegen?
Fischer: In erster Linie Gesundheit. Und dazu Erfüllung und Zufriedenheit bei allem, was er vorhat.
Vermissen Sie Union eigentlich?
Fischer: Also, wenn man fünf so intensive Jahre miteinander erlebt, ist es doch logisch, dass einiges hängen bleibt. Union und ich haben die Situation so angenommen, wie sie war im Herbst, und wir können beide umgehen damit. Hier geht es jetzt um Christian, darum, dass der Kampf mit dem Sport-Club um die internationalen Plätze erfolgreich verläuft. Aber ich drücke natürlich am letzten Spieltag Union die Daumen und hoffe, dass sie oben bleiben. Das war ja Sinn und Zweck, warum wir uns am 15. November getrennt haben. Das muss ich dann schon betonen!
Urs Fischer, 58, führte Union Berlin als Trainer in die Bundesliga, zweimal in die Europa League, und einmal in die Champions League. Eigentlich auch ein Wahnsinn!
Interview: Christoph Kieslich
Foto: Achim Keller