Jeder Club hat seine Kultfiguren. Vor dem Spiel beim SV Werder Bremen kommt in Heimspiel eine der Legenden des nächsten SC-Auswärtsgegners zu Wort: Frank Neubarth.
Herr Neubarth, wenn Sie die Augen schließen: Welche Gerüche kommen Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Ihre Kindheit denken?
Neubarth: Mir fällt da als erstes Zigarrenqualm ein (lacht). Als Jugendlicher spielte ich beim SC Concordia Hamburg, und dort gab es eine Ecke am Platz, wo ältere Zuschauer saßen und eine Zigarre nach der anderen geraucht haben. Den Geruch vergesse ich nicht.
Und den frischen Geruch nach feuchtem Fußballrasen?
Neubarth:Viel schöner! Aber den gab es in meiner Kindheit noch nicht, erst später als Profi bei Werder Bremen. Wir spielten in der Jugend auf Ascheplätzen. Und als Kinder kickten wir überall, meist auf Asphalt: auf dem Pausenhof, im Garagenhof. Die Tore markierten wir mit Schulranzen oder Pullovern – und los gings. Stundenlang. Bis es dunkel wurde, dann erst mussten wir wieder daheim sein. Eine schöne Zeit.
Beim SC Concordia gab es zu Ihrer Zeit auch Handball, Tischtennis, Turnen und viele weitere Sportarten – hatten Sie auch Interesse an etwas anderem als Fußball?
Neubarth: Für mich gab es nur Fußball. Mein Vater spielte auch bei Concordia, der Sport war mir ein Stück weit in die Wiege gelegt worden. Und in der D-Jugend durfte ich dann auch in den Verein – Bambinis oder so gab es früher noch nicht.
Hatten Sie mal Stress wegen einer eingeschossenen Scheibe oder ähnlichem?
Neubarth: Von meinen Eltern bekam ich mal einen ordentlichen Rüffel, weil ich in den besten Sonntagsschuhen rumgebolzt habe – dafür waren sie nicht gedacht.
Hatten Sie Vorbilder?
Neubarth:Uwe Seeler. Er war ja Hamburger und gab hier mal eine Autogrammstunde. Da war ich stolz wie Oskar, als ich ein Autogramm von ihm in der Hand hatte.
Träumten Sie schon als Kind davon, Fußballprofi zu werden?
Neubarth: Manchmal lag ich abends im Bett und stellte mir zum Einschlafen vor, dass ich ein entscheidendes Tor schießen und ein großes Finale gewinnen würde. Das fühlte sich gut an. Aber Profi zu werden, war zunächst kein Traum, den ich verfolgte.
Und doch wurde er wahr: Nachdem Sie in der Saison 1981/82 zum „Spieler der Saison“ der Oberliga Nord gewählt wurden, klopfte unter anderem Werder Bremen an. Waren Sie, als Sie dann in jenem Sommer mit 20 Jahren an die Weser wechselten, noch ein halbes Kind oder schon ein halber Erwachsener?
Neubarth: Da war ich noch mehr Kind. Ich war ziemlich naiv und unbedarft, aber auch glücklich, mal von Zuhause wegzukommen und eine neue Welt zu entdecken, in einer eigenen Wohnung Stück für Stück selbstständiger zu werden. Ich denke, es hat viele Vorteile, dieses Kindliche lange zu bewahren, auch als Profi: So habe ich mir nicht viele Gedanken gemacht, als ich plötzlich mit Größen wie Benno Möhlmann oder Karl-Heinz Kamp auf dem Platz stand und von einem erfahrenen Trainer wie Otto Rehhagel trainiert wurde. Ich habe das einfach genossen. Und ich wurde auch sehr freundlich von den Mitspielern aufgenommen. Da gab es kein allzu hierarchisches Gebilde, und doch musste man sich als junger Spieler natürlich erst einmal ein wenig unterordnen.
Aber Sie standen auch schnell im Fokus.
Neubarth: Nach kurzer Zeit waren die Erwartungshaltungen doch schon recht groß. Ich hatte ein paar gute Spiele gemacht, also forderten Trainer, Fans und Zeitungsreporter mehr davon. Ich musste lernen, mit negativen Reaktionen von Zuschauern und schlechten Bewertungen in der Zeitung umzugehen. Was nicht immer leicht war.
Sie blieben insgesamt 15 Jahre bei Werder Bremen und gewannen in dieser Zeit zahlreiche Titel: zwei Deutsche Meisterschaften, zweimal den DFB-Pokal, den Europapokal der Pokalsieger. Ihre Kindheitsträume hatten sich also erfüllt?
Neubarth: Mehr als das. Diese vielen Titel hätte ich mir gar nicht erträumen können. Diese Erfolge waren sowohl für mich als auch für den Verein etwas sehr Besonderes. Trainer Otto Rehhagel hatte in 15 Jahren aus einem mittelmäßigen Bundesligaclub einen Spitzenverein geformt. Und ich war dabei.
Wenn Sie noch mal in sich gehen: Was aus Ihrer Kindheit würden Sie sich für den Fußball von heute zurückwünschen?
Neubarth: Dass Kinder, wie wir damals, frei von Zwängen kicken können, nicht von reinbrüllenden, überambitionierten Eltern und Trainern gedrängt und eingeschränkt werden. Dass sie Freude am Fußball haben. Und den Sport finden, an dem sie am meisten Freude haben. Als mein Sohn in die Grundschule kam, erfuhr er, dass sein Papa mal Fußballprofi bei Werder Bremen war. Er sagte zu seinem Sportlehrer: Nur, damit Sie es wissen, ich finde Fußball scheiße. Mein Sohn wollte lieber etwas anderes machen – und das war total okay für mich. Und als er später doch Freude am Fußball entwickelte, hat mich das auch gefreut. Er sollte einfach selbst entscheiden dürfen und seinen eigenen Weg finden.
Interview: Christian Engel
Foto: Imago Images
Bildunterschrift: Frank Neubarth, 62, kam 1982 zum SV Werder Bremen und blieb bis 1996 an der Weser. Als Stürmer machte er 421 Spiele für die Hanseaten und erzielte 141 Tore. Anschließend war er sechs Jahre lang Jugendtrainer bei Werder, heute coacht er den niedersächsischen Oberligisten FC Verden 04.
Dieser Text erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "Heimspiel", das hier auch im Abo erhältlich ist.