"Eine sagenhafte Geschichte"

Profis
20.09.2024

Jeder Klub hat seine Kultfiguren. Vor dem Spiel beim 1. FC Heidenheim kommt in Heimspiel eine der Legenden des nächsten SC-Auswärtsgegners zu Wort: Marc Schnatterer.

Herr Schnatterer, der Duden hat neulich 3000 neue Wörter aufgenommen, aber leider nicht den lokalen und lustigen Begriff „Heimscheißerle“. Das dürfte Ihnen auch missfallen haben, oder?

Schnatterer: Ich weiß, auf was Sie hinauswollen: Marc Schnatterer, das „Heimscheißerle“, das in seiner ganzen Karriere ausschließlich bei Vereinen im heimischen Baden-Württemberg gekickt hat. In späteren Jahren der Profilaufbahn hätte ich mir durchaus vorstellen können, auch mal außerhalb der Landesgrenze einen Vertrag anzunehmen, in jungen Jahren hätte man mich aber definitiv als „Heimscheißerle“ bezeichnen können. Da hatte ich häufig auch sehr mit Heimweh zu kämpfen.

In welchen Momenten?

Schnatterer: Ich habe mit 13 Jahren beim VfB Stuttgart gespielt, hatte dort auch Auswahlsichtungen, wo man übernachten musste. Es fiel mir immer schwer, weg von daheim zu sein. Ich mochte es einfach, abends bei meinen Eltern am Tisch zu essen.

Darauf mussten Sie dann ab dem Sommer 2006 verzichten. Erst ging es zum Karlsruher SC, zwei Jahre später auf die Schwäbische Alb nach Heidenheim.

Schnatterer: Die ersten drei Monate bin ich nach Karlsruhe gependelt, weil ich noch keine Wohnung hatte – das habe ich aber auch genossen (grinst). Und beim1. FC Heidenheim fiel mir der Start ebenfalls schwer, nicht nur wegen des anfänglichen Heimwehs. Nach zwei Wochen hätte ich Heidenheim beinahe wieder verlassen.

Wieso?

Schnatterer: In der Vorbereitung auf die Regionalliga habe ich mich gefragt, ob es jetzt das ist, was ich auf Jahre machen will. Ich hätte mir in der Zeit auch vorstellen können, zu studieren und nebenher in einem Dorfverein zu kicken. Ich hatte sogar schon eine Zusage für ein Sportmanagementstudium. Meine Eltern meinten aber, ich solle es doch ein, zwei Jahre probieren – danach wäre auch noch Zeit für ein Studium. Und dann wurden aus diesen schweren zwei Wochen letztlich 13 wunderbare Jahre als Profi in Heidenheim.

Gleich in Ihrer ersten Saison stiegen Sie in die 3. Liga auf …

Schnatterer: … was mich in dem Entschluss nochmals bestärkte, weiter Fußballprofi zu sein. Denn auf einmal traf man auf namhafte Gegner: Dynamo Dresden, Kickers Offenbach oder Erzgebirge Aue. Und sowieso spürte man im Verein, dass sich dort etwas Großes entwickelte. Trainer Frank Schmidt und Holger Sanwald, der FCH-Vorstandsvorsitzende, hatten Visionen, brachten viel Professionalität rein, führten den Verein letztlich immer weiter nach oben: 2013/14 gelang uns der Aufstieg in die 2. Liga, 2022/23 dann der Sprung in die höchste deutsche Spielklasse – eine sagenhafte Geschichte.

… an deren Happy End Sie aber nicht mehr Teil hatten, weil Sie den Verein im Sommer 2021 verlassen hatten.

Schnatterer: Als ich ging, fühlte es sich dennoch wie ein Happy End an. Ich habe für den Verein 457 Spiele gemacht, war lange Kapitän, wurde Rekordspieler, habe zwei Aufstiege mitmachen dürfen. Aber klar: Einmal noch Bundesliga spielen, wäre für mich das i-Tüpfelchen gewesen. Beinahe wäre es geglückt, nach der Zweitligasaison 2019/20 standen wir in der Relegation um den Aufstieg. Nach einem 0:0 im Hinspiel spielten wir gegen Werder Bremen daheim 2:2 – wegen der Auswärtstorregelung blieb Bremen in Liga eins.

Sportlich das Bitterste in Ihrer Karriere?

Schnatterer: Einer der bittersten Momente, ja. Dass der Aufstieg drei Jahre später klappte, war dann aber einer der schönsten Momente – obwohl ich da nicht mehr Spieler des 1. FC Heidenheim war, sondern soeben meine Karriere bei Waldhof Mannheim beendet hatte. Dennoch bin ich mir bewusst, dass ich, wie viele andere Spieler, meinen Teil zum Erstligaaufstieg geleistet habe, in den vielen Jahren zuvor eine Basis geschaffen hatte. Das macht mich stolz.

Sie machen seit Sommer 2023 weiter mit der Basisarbeit: als Co-Trainer der U19 und „Spezial-Coach Offensive“ im Nachwuchsleitungszentrum des 1. FC Heidenheim.

Schnatterer: Diese Arbeit macht mir extrem viel Spaß, und ich bin auch froh, mit meiner Frau und meinem Sohn hier eine Heimat gefunden zu haben, wo wir uns sehr wohlfühlen. Ich bin hier beim FCH auch so etwas wie ein Verbindungstrainer zwischen Junioren und Profis.

Julian Schuster war beim SC Freiburg auch jahrelang Verbindungstrainer, bevor er Chefcoach der Profis wurde …

Schnatterer:(lacht) ... Auf diese Anspielung lasse ich mich nicht ein. Bevor ich daran denke, eines Tages Bundesligatrainer zu sein, muss ich noch meine A-Lizenz machen und will sowieso erstmal noch viel Erfahrung als Jugendcoach sammeln. Aber dass Julian Cheftrainer geworden ist, freut mich sehr – und wundert mich nicht. Als ich in der Jugend für den TSV Bönnigheim gespielt habe, bin ich häufig auf Julian getroffen, der beim benachbarten FV Löchgau kickte. Der war genauso ein Heißsporn wie ich. Leider hat er nach den Duellen öfter gejubelt als ich. Aber er hatte damals schon diesen außergewöhnlichen Ehrgeiz. Und ist mit ihm ebenfalls sehr weit gekommen.         

Interview: Christian Engel

Foto: Imago Images

Dieser Text erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "Heimspiel", das hier auch im Abo erhältlich ist.

 
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