Jeder Club hat seine Kultfiguren. Vor dem Spiel bei Bayer 04 Leverkusen kommt in eine der Legenden des nächsten SC-Auswärtsgegners zu Wort: Rüdiger Vollborn.
Herr Vollborn, SC-Kapitän Christian Günter wurde zum Saisonstart gegen den VfB Stuttgart für sein 400. Pflichtspiel im Trikot des SC Freiburg geehrt. Sie wissen nur zu gut, wie es sich anfühlt, so viele Profispiele für einen einzigen Verein zu absolvieren.
Vollborn: Das ist etwas ganz Besonderes, zumal in der heutigen Zeit. Ich kam am Ende auf 483 Pflichtspiele für Bayer Leverkusen, habe meine Profizeit ausschließlich dort verbracht. Das hat schon was Schönes: diese Verbindlichkeit, diese Treue, später auch ein gewisser Legendenstatus im Verein.
Wir haben allerdings gelesen, Mönchengladbach sei Ihr Lieblingsverein gewesen. Warum ging es 1981, als Sie als Junioren-Nationalspieler auf sich aufmerksam machten, trotzdem nach Leverkusen?
Vollborn: Ich hatte mehrere Angebote, aber mein Vater war da sehr pragmatisch: Er sagte, in Leverkusen könne ich parallel im Bayer-Werk meine Ausbildung machen. Zudem standen zu der Zeit in Leverkusen mit Hubert Makel und Fred-Werner Bockholt zwei Torhüter im Kader, die die 35 Jahre schon überschritten hatten – die Wahrscheinlichkeit war schlicht höher, dort bald Stammkeeper zu werden.
Was Sie ab der Saison 1983/84 waren.
Vollborn:Mein Debüt gab ich im Olympiastadion in München – da bin ich vor dem Spiel vor Freude auf dem Platz rumgehüpft.
Sie waren nun auch in der „Sportschau“ zu sehen, was, wie Sie einmal erklärten, stets Ihr großer Ansporn gewesen sei.
Vollborn:Ich wollte nie Bundesliga-Torwart werden, um viel Geld zu verdienen. Aber schon als Kind und Jugendlicher hatte ich, wenn ich die Sportschau guckte, davon geträumt, auch mal dort zu sehen zu sein. Das war für mich ein toller Anreiz – einfach ein Traum.
Und doch störten Sie die Medien – zusammen mit den Fans – scheinbar auch, weil Sie in einem Interview sagten: „Fußball kann so schön sein, wenn die Medien und die Fans nicht wären.“
Vollborn: Als Jugendspieler von Blau-Weiß 90 Berlin wurde ich nie kritisiert. Als Bundesligaprofi stehst du auf einmal voll im Fokus. Jeder Fehler wird bewertet. Und leider habe ich davon am Anfang auch einige gemacht.
Als Ihre große Schwäche sahen Sie die Strafraumbeherrschung.
Vollborn: Ich hatte eine regelrechte Strafraum-Phobie. Ich traute mich lange Zeit nicht, auch nur einen Schritt vor den Strafraum zu machen, weil ich dort meine Hände nicht mehr benutzen durfte. Ich wollte nie Fußball spielen, nur Bälle abwehren. Selbst aus dem Fünfer rauszukommen, fiel mir lange schwer. Daher holte ich mir auch Hilfe bei einer Psychotherapeutin, um an dieser Phobie zu arbeiten …
… was damals – im Vergleich zu heute – sicher unüblich war.
Vollborn:Total! Aber Erich Ribbeck, der 1985 als Trainer kam, riet mir zu diesem Schritt – und dafür bin ich ihm bis heute sehr dankbar.
Unter Ribbeck erlebte Leverkusen sportlich die bis dahin erfolgreichsten Jahre.
Vollborn: Der Verein war 1979 erstmals in die Bundesliga aufgestiegen und in den ersten Spielzeiten zunächst meist mit dem Klassenerhalt beschäftigt. Als Ribbeck kam, holte er keine neuen Spieler, baute die Mannschaft aber komplett um. Er schulte Mittelstürmer Christian Schreier zum defensiven Mittelfeldspieler um, machte Thomas Zechel vom Angreifer zum rechten Verteidiger. All die Veränderungen funktionierten: Am Ende der Saison 1985/86 standen wir auf dem sechsten Rang und zogen erstmals ins internationale Geschäft ein ...
... und wurden 1988 UEFA-Cup-Sieger.
Vollborn: Das war auch für mich persönlich ein wichtiger Wettbewerb, weil sich meine etwas belastete Beziehung zu den eigenen Fans zum Positiven wendete. Zunächst schafften wir es im Halbfinalrückspiel gegen Werder Bremen, das 0:0 über die Zeit zu bringen und dank des 1:0-Sieges aus dem Hinspiel ins Finale einzuziehen. Die Unterstützung der Fans war so beeindruckend, dass ich nach Abpfiff in die Kurve rannte und mit den Fans feierte. Und im Finalrückspiel gegen Espanyol Barcelona egalisierten wir zunächst das 0:3 aus dem Hinspiel, um dann im Elfmeterschießen zu triumphieren. Ich parierte drei Elfer – danach konnte ich auch unter Flanken durchfliegen, die Fans haben mich trotzdem geliebt.
Ihr Sohn Fabrice, der ebenfalls Torhüter wurde, spielte auch mal hier in Freiburg, mit der TuS Koblenz gegen die U23 des Sport-Club. Waren Sie damals, 2014, zufällig dabei?
Vollborn:Nein. Aber ich durfte ja selbst einige Male in Freiburg spielen. An mein erstes Auswärtsspiel beim SC erinnere ich mich noch gut. Das war im Oktober 1993. Ich genoss es, dass der Platz im Dreisamstadion so kurz war und meine Abstöße endlich mal über die Mittellinie kamen. Toll war auch der Blick über die Tribünen: An dem Tag schneite es und die Tannen im Schwarzwald waren bereits weiß. Obwohl wir 0:1 verloren, blieb mir diese Partie wegen der traumhaften Kulisse bis heute in bester Erinnerung.
Interview: Christian Engel
Foto: Imago Images
Bildunterschrift: Rüdiger Vollborn (61) bestritt zwischen 1982 und 2000 für Bayer 04 Leverkusen 483 Pflichtspiele und ist damit Rekordspieler der Werkself. In der Folge arbeitete er dort zwölf Jahre lang als Torwarttrainer, 13 Jahre war er hauptamtlicher Fanbetreuer des Vereins. Inzwischen arbeitet er als Club-Historiker.
Dieser Text erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "Heimspiel", das hier auch im Abo erhältlich ist.