Jeder Club hat seine Kultfiguren. Vor dem Spiel beim FC St. Pauli kommt eine der Legenden des nächsten SC-Auswärtsgegners zu Wort: Fabian Boll.
Herr Boll, wie im Podcast „Ball you need is love“ des Moderators und Autors Arnd Zeigler zu erfahren war, haben Sie einst beim FC St. Pauli Stadionmagazine verkauft. Wie kam’s?
Boll: Das war großartig, da war ich 16, 17 Jahre alt. Damals war das Millerntor-Stadion noch sehr klein, bot gerade mal Platz für 19.000 Zuschauerinnen und Zuschauer. Heißt: Es war schwierig, eine Karte zu bekommen. Eine gute Möglichkeit, um die Heimspiele von St. Pauli verfolgen zu können, war, das Stadionmagazin vor dem Spiel zu verkaufen. Weil man dafür eine Arbeitskarte bekam und nach der Arbeit noch das Spiel gucken konnte.
Wir haben SC-Profis hier im „Heimspiel“-Fragebogen auch schon die Frage gestellt: „Welches Spiel würdest du gerne noch einmal spielen?“ Was würden Sie darauf antworten?
Boll: Ganz klar: das Halbfinale im DFB-Pokal gegen Bayern München. Das war in der Saison 2005/06 – unsere berühmte „B“-Serie: In der ersten Runde kegelten wir Wacker Burghausen raus, danach den VfL Bochum, die Berliner Hertha und Werder Bremen. Alle natürlich deutlich höherklassiger als wir, der FC St. Pauli war damals Regionalligist. Und dann folgte eben das nächste „B“ jener Pokalsaison: Bayern München. Daheim am Millerntor. Wir hatten auch unsere Chancen, das Spiel zu unseren Gunsten zu gestalten. Am Ende verloren wir zwar deutlich mit 0:3, aber die letzten beiden Treffer fielen erst in den letzten Minuten. Allerdings: Ich revidiere leicht: Ich würde gerne dieses Halbfinale noch einmal spielen, aber gegen das andere „B“, das noch im Lostopf war: Bielefeld. Dann wären die Chancen wohl höher gewesen, ins Pokalfinale einzuziehen.
Ein unvergessliches Spiel dürfte für Sie auch das Auswärtsspiel beim SC Freiburg in der Saison 2010/11 gewesen sein.
Boll: Absolut! Es war immer ungewohnt, in Freiburg zu spielen. Natürlich wegen des nahezu quadratischen Platzes, außerdem wegen des Wetters: Die Saisonvorbereitung hatten wir bei 16 Grad und Nieselregen in Hamburg bestritten, und am ersten Spieltag der Saison erwarteten uns im Breisgau dann 36 Grad im Schatten. Aber die Stimmung im Dreisamstadion gefiel mir immer gut, sie war ähnlich euphorisch wie bei uns am Millerntor.
Auch der Ausgang jenes Spiels dürfte Ihnen gefallen haben …
Boll: Ein 3:1-Sieg zum Bundesligaauftakt, als Aufsteiger, auswärts – klar, das hat schon was. Und dann schoss ich nach der späten Freiburger Führung (durch Papiss Demba Cissé in der 78. Minute, d. Red.) auch noch den Ausgleich, mein erstes Bundesligator überhaupt. Zudem eines der schöneren meiner Karriere: Einen Abpraller nehme ich direkt, wuchte ihn von der Strafraumkante mit der Innenseite in den linken oberen Knick.
Und nach dem Auftaktsieg ging es dann mit einem Kaltgetränk ab in die Dreisam?
Boll: Das wäre schön gewesen, aber es ging relativ schnell zurück nach Hamburg. Im Bus haben wir den Sieg natürlich trotzdem gebührend gefeiert.
Damals auch mit Ihrem Mitspieler Florian Bruns, heute Co-Trainer der SC-Profis.
Boll: Flo war einer meiner wichtigsten Ansprechpartner zu jener Zeit, gemeinsam mit Ebbe (Marius Ebbers, d. Red.). Flo war eher der ruhigere Vertreter. Die öffentliche Meinung in Hamburg ging bei ihm manchmal etwas auseinander. Aber meiner Meinung nach war er in jenen Jahren eine der größten Konstanten im Team. Er war schnell, technisch stark, gut im Eins-gegen-eins, konnte zudem auch gut verteidigen. Als wir beide über 30 waren, spielten wir ab und zu auch mal gemeinsam auf der Doppelsechs. Flo war wahnsinnig flexibel, man konnte sich auf jeder Position voll auf ihn verlassen.
Schielten Sie bei aller Freundschaft dennoch neidisch auf seine Rückennummer? Florian Bruns, der zwischen 2006 und 2013 bei St. Pauli war, trug die Acht, die Nummer Ihres großen Idols Steven Gerrard vom FC Liverpool.
Boll: Was ich erst später lustigerweise erfahren habe, ist, dass Steven Gerrard in seinen ersten Jahren beim FC Liverpool auch die 17 getragen hatte, wie ich bei St. Pauli. Somit passt das schon. Außerdem gab es mit der Rückennummer 17 für mich viele schöne Überschneidungen. Ich hatte nach dem Schulabschluss eine Ausbildung zum Kriminalkommissar gemacht und arbeitete, als ich 2002 zu den Amateuren des FC St. Pauli kam, in Vollzeit bei der Hamburger Polizei – nämlich im Kommissariat Nummer 17.
Daher also die Nummer.
Boll: Nee, das war eher ein lustiger Zufall. Die 17 schnappte ich mir, weil zuvor bei St. Pauli Spieler wie Ivan Klasnic und Alexander Meier die 17 getragen hatten – und die hatten in der Folge ja ganz ordentliche Karrieren hingelegt. Die 17 wurde in den Jahren so etwas wie mein Markenzeichen, und bei meinem Abschiedsspiel für den FC St. Pauli im Jahr 2014 wurde die 17 dann als große Blockfahne geschwenkt. Das war ein berührender Anblick und ein wunderschöner Abschluss einer wunderbaren Zeit.
Interview: Christian Engel
Foto: Imago Images
Bildunterschrift: Fabian Boll (45) kam 2002 zum FC St. Pauli und bestritt bis zu seinem Abschied 2014 für die Profis 292 Partien (32 Tore). Nach Trainerstationen, unter anderem beim SC Victoria Hamburg und als Co-Trainer bei Holstein Kiel, arbeitet er heute als Ausbilder von Nachwuchskräften der Hamburger Polizei.
Dieser Text erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "Heimspiel", das hier auch im Abo erhältlich ist.