Jeder Club hat seine Kultfiguren. Vor dem Spiel beim 1. FC Union Berlin kommt in eine der Legenden des nächsten SC-Auswärtsgegners zu Wort: Wolfgang Matthies.
Herr Matthies, seit 1980 küren die Fans des 1. FC Union Berlin den „Unioner des Jahres“ – eine Auszeichnung, die auch ehemalige SC-Spieler wie Max Kruse (2021) oder Rafał Gikiewicz (2019) erhalten haben. Nur zwei Spielern wurde diese Ehre gleich vier Mal zuteil: Jan Glinker und Ihnen.
Matthies: Wenn solch ein Titel von den Fans kommt, dann freut man sich ganz besonders. Neben diesen Auszeichnungen haben die Fans mich 2006 auch zum „wertvollsten Unionspieler aller Zeiten“ gewählt. Auch das war sagenhaft schön für mich.
Wie wird man denn zu einem Liebling der Fans?
Matthies: Indem man nicht arrogant ist. Ich war immer freundlich zu den Fans, sehr nahbar. Nach dem Training kamen wir an der Bande ins Gespräch, und wenn ich mitbekommen habe, dass da einer Geburtstag hat, bin ich auch mal zu einem Fan nach Hause gefahren und habe ihn bei seiner Geburtstagsfeier überrascht. Diese Nähe haben mir die Fans immer wieder zurückgezahlt, wie beispielsweise an meinem 50. Geburtstag. Da saß ich gerade in kurzer Hose im Garten, als ein Auto voller Fans vorfuhr. Sie haben mich eingepackt und zu einer Gaststätte kutschiert, wo bereits zahlreiche Union-Anhänger und ehemalige Mitspieler warteten, um mit mir auf meinen Runden anzustoßen.
Sie kamen 1971 zu Union Berlin: Wie kann man sich den Verein jener Zeit vorstellen?
Matthies: Kein Vergleich zu heute natürlich. Es gab keine richtigen Duschen. Keine Sauna. Wenn uns unsere Frauen mal nach einem Training abgeholt haben, gab es für sie noch nicht mal eine Möglichkeit, sich bei Regen unterzustellen. Immerhin hatten wir drei Trainingsplätze, das war schon was.
Und im Vergleich zu anderen Vereinen der Stadt?
Matthies: Da waren wir eher benachteiligt und nicht so gut angesehen. Der Polizeiverein oder der Armeeverein waren bei den Regierungschefs der DDR besser gestellt. Wir waren eben der Arbeiterverein, der auch mal aufmuckte – das mochte man nicht so gern.
Das bekamen Sie auch zu spüren?
Matthies: Sagen wir mal so: Die Schiedsrichter hätten bei unseren Partien auch ein wenig objektiver pfeifen können (lacht).
Sie gaben Ihr Debüt für die erste Mannschaft von Union am15. September 1974, siegten dabei in der DDR-Liga mit 4:0 gegen die BSG Aufbau Schwedt.
Matthies: Rainer Ignaczak war zuvor fast acht Jahre lang die Nummer eins gewesen. Ich hatte also, nachdem ich 1971 zu Union gekommen war, immer harte Konkurrenz im Tor, musste mich erst mal hintenanstellen und geduldig sein. Als ich dann meine Chance bekam, nutzte ich sie auch. Der Einstand ohne Gegentor war natürlich hilfreich – und auch meine Beharrlichkeit, selbst mit einer Verletzung zu spielen. Einmal hatte ich mir den Arm gebrochen, ließ aber nur eine einzige Partie ausfallen, weil ich meinen Platz im Kasten nicht verlieren wollte. Dank einer Schiene war das möglich.
1982 und 1983 waren Sie zum „Unioner des Jahres“ gewählt worden – und doch verabschiedeten Sie sich im Sommer 1983 Richtung Magdeburg.
Matthies: Das lag an Trainer Harry Nippert. Ich kam mit ihm einfach nicht klar. Also wechselte ich den Verein, ging zu Magdeburg. Da hatte ich zwei schöne Jahre. Im Europapokal der Pokalsieger trafen wir beispielsweise auf den FC Barcelona mit Diego Maradona. Er schenkte uns zwar bereits im Hinspiel beim 1:5 drei Tore ein und traf auch bei unserem 0:2 im Rückspiel. Aber allein mal nach Barcelona oder Stockholm zu reisen, das war für uns Spieler aus der DDR, die ja sonst nur den Osten kannten, natürlich etwas ganz Besonderes.
Zur Saison 1985/86 kehrten Sie allerdings schon wieder zurück zu Union – nicht lange ausgehalten ohne die alte Liebe?
Matthies: Ich hatte bei der Vertragsunterzeichnung in Magdeburg mit dem Präsidenten bereits ausgemacht: Wenn Union einen neuen Trainer hat, darf ich zurückgehen. Da wurden mir auch keine Steine in den Weg gelegt. Für mich gab es schon als kleiner Bengel nur Union Berlin. Ich wohnte in direkter Nachbarschaft zum Stadion, lief oft am Gelände vorbei. Mit
15 Jahren wollte ich dann von daheim ausziehen, in ein Spielerinternat. Union hatte allerdings keines, also ging ich zunächst ins Internat vom FC Vorwärts Berlin, bevor ich dann mit 17 Jahren zu Union kam.
Wollten Sie auch als Kind schon immer Torhüter sein?
Matthies:Gar nicht! Ich habe als Linksaußen angefangen. Aber bei einem Hallenturnier, da war ich ungefähr acht Jahre alt, ist unser Torhüter ausgefallen. Da ich einer der Größten im Team war, haben sie mich ins Tor gestellt. Und scheinbar habe ich es nicht allzu schlecht gemacht. Ich hatte jedenfalls eine tolle Zeit als Torwart, habe es geliebt, wenn die Fans hinter mir scherzhaft gebrüllt haben „Die Mauer muss weg“, weil ich keinen Ball reingelassen habe. Auch wenn sich in den vergangenen Jahrzehnten bei Union Berlin vieles verändert hat, ist eines immer gleich geblieben: die Fans. Die sind heute noch so toll wie zu meinen Zeiten.
Interview: Christian Engel
Foto: Imago Images
Dieser Text erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "Heimspiel", das hier auch im Abo erhältlich ist.
Bildunterschrift: Wolfgang Matthies (71) stand für den 1. FC Union Berlin zwischen 1971 und 1988 – mit Unterbrechungen – in 202 Partien zwischen den Pfosten. Heute genießt er sein Rentnerdasein mit regelmäßigen Stadionbesuchen bei den Heimspielen von Union Berlin an der Alten Försterei.