Biermann über Streich: "Einer von uns"

Verein
29.05.2024

Der südbadische Dialekt wurde zu einem seiner Markenzeichen. Autor Christoph Biermann über die Person Christian Streich, dessen Sprache und die Art und Weise, wie er seinen Beruf lebt.

Vor einiger Zeit, es war zum Ende der letzten Bundesligasaison des SC Freiburg im Dreisamstadion, erlebte ich etwas für mich Erstaunliches. Der Sport-Club hatte gewonnen, und nun begann die Pressekonferenz, die man überall auf dem Stadiongelände hören konnte. Wie üblich war erst der gegnerische Trainer an der Reihe, dann Christian Streich.

Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was er sagte, aber das war auch nicht wichtig. Denn es ging in diesem Moment um das Wie, um seinen Sound. Streich sprach wie immer im Dialekt seiner südbadischen Heimat, der für einen wie mich aus dem Ruhrpott mitunter gar nicht so leicht zu verstehen ist.

An diesem Tag, vielleicht war es ein besonders kompliziertes Spiel gewesen, war Streichs mundartliche Färbung besonders deutlich. Genau das begeisterte die Menschen um mich herum. Ich kann mich noch gut an ein paar begeisterte Lacher und sogar Kiekser erinnern, so sehr war sein Publikum aus dem Häuschen. Dialekt ist aus dem öffentlichen Sprechen, und dazu gehören auch Pressekonferenzen nach Bundesligaspielen, weitgehend verschwunden.

Inhalt steht im Vordergrund

Menschen, die Dialekt sprechen, versuchen ihn oft zu verbergen, wenn sie mit Leuten zu tun haben, die Hochdeutsch reden. Dialekt gilt aber zu Unrecht als provinziell. Weil dieses Thema ein vermintes ist, und weil ich Christian Streich tatsächlich nicht immer gut verstehe, habe ich ihn mal gefragt, warum er über die Jahre beim Dialekt geblieben ist.

Er erklärte, dass es ihn zu viel Energie kosten und der Inhalt des Gesagten darunter leiden würde, sich darauf zu konzentrieren, Hochdeutsch zu sprechen. Mir gefiel an der Antwort, dass darin eine Streich-typische Selbstermächtigung steckt, die Dinge am eigenen Maßstab auszurichten. Außerdem hat er über die Jahre im alemannischen Sound seiner Heimat viele äußerst komplexe Dinge sehr gut erklärt – und das nicht nur in Fußballfragen.

Die Begeisterung über den Dialekt sprechenden Trainer, die ich beobachtet hatte, erklärte sich vor allem aber dadurch, dass er für seine Zuhörer so ganz automatisch „einer von uns“ wurde.

Ungefilterte Emotionen

Das war deshalb schön, weil es zeigte, dass dieser geniale Ausnahmetrainer nicht entrückt rüberkommt. Dabei ist bei ihm so vieles im Übermaß da, oder wie man heute sagt: in XXL. Er freut sich nicht nur, sondern ist glücklich. Er ist nicht enttäuscht, sondern niedergeschlagen. Er interessiert sich nicht nur für etwas, sondern ist davon eingenommen.

Er geht dem Beruf eines Fußballtrainers nicht einfach nur nach, sondern lebt ihn mit jeder Faser seines Körpers. Das ist anstrengend für ihn und bestimmt auch für alle, die mit ihm zu tun haben: seine Spieler also, seine Kollegen im Trainerstab und all jene im Klub, die sonst mit ihm zusammenarbeiten. Oder die gegnerischen Trainer, die sich oft genug fragen mussten, was denn in der anderen Coaching-Zone eigentlich abgeht.

Doch wie kann man über drei Jahrzehnte ohne Unterlass so viel Energie aufbringen? Eine Antwort darauf ist: Angst! Vielleicht ist es sogar die entscheidende Antwort, denn Christian Streich ist die Urangst vor dem Scheitern nie ganz losgeworden. Er wirkte immer wieder wie ein Hochseiltänzer, der für einen Moment aufhört, nach vorne zu schauen, und unversehens das gigantische Nichts unter sich feststellt, in das er jeden Moment stürzen könnte.

Abstiegsschmerz wirkt nach

Das ist auch aus seiner Biographie als Trainer zu erklären. Für Streich ist dieses Nichts unter ihm eine Serie von schlechten Spielen und Niederlagen, die er nicht gestoppt bekommt, und aufgrund der er in die 2. Liga stürzt. Genau das hat er erlebt, vor neun Jahren.

Der Schmerz damals war gewaltig, so was wollte er niemals wieder erleben. Kein Wunder, dass er als Fußballtrainer nie lässig geworden ist oder ein Elder Statesman, der das, siebte Lebensjahrzehnt in Sicht, entspannt auf das Gewoge der Spiele schaut. Nein, er ist angespannt und immer aufmerksam für das Grauen, das im Fußball hinter der nächsten Ecke lauert.

Von außen ist es faszinierend zu sehen, wie Dinge im Fußball ganz schnell schief gehen können. Von innen aber kann es der pure Horror sein, das zu erleben. Auch diese Erfahrung, glaube ich, hat Christian Streich die die ungeheure Intensität entwickeln lassen, mit der er seiner Arbeit stets nachgegangen ist. Manchmal wird im Fußball davon geredet, das Glück zwingen zu wollen. Ich musste bei dieser Formulierung oft an Christian Streich denken, der selbst das noch in den Griff bekommen wollte, was per Definition nicht in den Griff zu bekommen ist.

Fokus auf Spieler- und Persönlichkeitsentwicklung

Die offizielle Berufsbezeichnung eines Trainers im deutschen Spitzenfußball war bis vor kurzem „Fußballlehrer“. Christian Streich trug sie zu Recht, denn er hat fast drei Jahrzehnte lang Fußball wirklich gelehrt. Er hat das nicht nur in seiner Zeit als Nachwuchstrainer getan, sondern auch nicht damit aufgehört, als er mit Bundesligaspielern gearbeitet hat.

So viele Profis sind unter ihm besser geworden, dass es sinnlos wäre, einzelne Namen aufzulisten. Im Grunde hat jeder in der Ära Streich den Sport- Club mit einem besseren Verständnis für das verlassen, was auf dem Platz zu tun ist.

Aber wie die besten Lehrer hat Christian Streich auch versucht, den ihm Anvertrauten etwas fürs Leben mitzugeben, das über richtige Laufwege und perfektes Verschieben weit hinausgeht. Weshalb er mit seinen Spielern über Politik oder andere wichtige Dinge gesprochen hat, wenn er das für notwendig hielt. Wie wertvoll das sein kann, wissen wir anderen aus manchen seiner öffentlichen Auslassungen.

Was mich stets besonders für Christian Streich eingenommen hat, ist, wie er über einzelne Spieler als Menschen sprach. Dann zeigte sich, wie aufmerksam dieser Trainer sie anschaute – und wie liebevoll. Da interessierte sich einer wirklich für die, mit denen er arbeitet, auch wenn sie ihm vielleicht gerade auf die Nerven gingen oder ihn enttäuschten. Und womöglich liegt darin sogar der Kern der Erklärung für seine gewaltige Erfolgsgeschichte beim SC Freiburg.

Großer Beitrag zur Entwicklung des Vereins

Wir sollten auch nochmal sagen, wie groß diese Erfolgsgeschichte ist, denn dafür verliert sich im Laufe der Jahre das Gefühl. Zumal sie sich nicht unbedingt in Titeln bemisst, wobei weder die Zweitligameisterschaft vor acht Jahren, noch die Meisterschaft mit der A-Jugend und die drei Junioren-Pokalsiege unter den Tisch fallen sollen.

Vor allem aber hat Christian Streich entscheidend dazu beigetragen, den Klub so in der Bundesliga zu etablieren, dass man das inzwischen für selbstverständlich hält. Und als die Welt des SC Freiburg mit dem Umzug ins neue Stadion schlagartig größer wurde, hat er sie sportlich adäquat gefüllt, als sei das ganz selbstverständlich.

Über 29 Jahre hat dieser Mann in weit über 700 Spielen Freiburger Mannschaften als Trainer betreut. Das ist ein Satz, wie man ihn auch früher nur selten aufschreiben konnte und heute fast gar nicht mehr, weil das Fußballgeschäft so volatil ist, dass es selbst die Besten zwischendurch abwerfen kann. Dann steigen sie zwar woanders wieder auf, aber Kontinuität über Jahrzehnte gibt es so kaum.

Übrigens gilt das andersherum genauso, denn nicht selten sind es die Trainer, die zum nächstgrößeren Klub wollen, weil sie glauben, dass sie das ihrer Karriere schuldig sind. Christian Streich hat letztlich alle Angebote ausgeschlagen, die über die Jahre kamen. Deshalb stand irgendwann die Frage im Raum, ob er überhaupt anderswo Trainer sein könnte als in Freiburg.

Energiequelle „Heimat“

Ich fand die Diskussion immer langweilig, weil die Antwort offensichtlich ist: ja, natürlich! Schließlich ist das Trainersein auch ein Handwerk, das man besser oder schlechter beherrschen kann, und Christian Streichs Werkzeugkoffer ist prall gefüllt. Dazu verfügt er über die Erfahrung der Jahre und all der Spiele.

Wobei, dieser Einwand ist schon berechtigt, andere Klubs womöglich nicht den bestmöglichen Christian Streich verpflichtet hätten. Er hat mal vom Gespräch mit einem Trainerkollegen erzählt, der gerade im Hotel lebte. Dabei malte er sich sein Leben allein am Sonntagabend in einem Hotelzimmer aus, weit weg von der Familie.

 So, wie er darüber redete, klang das nach einem Alptraum, wo er in Freiburg doch nach Spielen nach Hause radeln konnte, um mit Familie und Freunden zu reden, zu essen, zu trinken und unter den Leuten zu sein, die ihn lieben. Das ist es auch, was Christian Streich so liebenswürdig macht. Er ist einerseits der Gigant des Fußballs, der ein Dutzend Jahre in der eiskalten Gipfelzone des Profifußballs souverän bestanden hat.

Aber er ist auch der Mann, der sich nach der Nähe seiner Liebsten sehnt. Der seine wechselnden Gefühle vor uns zudem kaum zu verbergen vermag, weil ihm das ohne gewaltige Anstrengung so schwer fällt wie Hochdeutsch zu sprechen. Wir erleben daher seine Freude und sein Glück genauso mit wie seine Frustration oder Enttäuschung.

In den letzten Jahren, das war nicht zu übersehen, hat das Glück deutlich überwogen. Und so wollen wir Christian Streich mit diesem ganz einfach klingenden und doch so großen Wunsch in den neuen Lebensabschnitt verabschieden: Möge Dir das Glück treu bleiben!

Christoph Biermann

Foto: Imago Images

Dieser Text erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "Heimspiel".

 
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