Im Dezember bei West Ham United tritt der SC zum allerersten Mal auf der britischen Insel an. Wo ein heutiger SC-Jugendtrainer als Student schon kicken durfte. In Schottland. Zum Beispiel gegen die Glasgow Rangers vor 45.000 Zuschauern. Philipp Züfle erzählt seine Geschichte zum Bild.
Man sieht mir auf dem Foto den Schock an, so ein perplexes Ohnmachtsgefühl: Eben lief es gegen die großen Glasgow Rangers noch richtig gut – und dann ist das Spiel für mich schon vorbei. Im Zweikampf erwische ich Mittelstürmer Kevin Kyle blöd am Knie. Obwohl der schottische Nationalspieler schnell wieder steht, sehe ich glatt Rot. Wir verlieren zu Hause mit 2:6.
Auf Facebook entfachten Rangers-Fans danach einen kleinen Shitstorm gegen mich, die "Scottish Sun" nannte mich den "trotteligen Deutschen", und mein Coach kritisierte mich im Radio. An meiner Schule nahmen es die Leute dafür mit Humor: In ihren ortstypischen Schuluniformen hielten Schülerinnen und Schüler mir mitunter grinsend ihre roten Schulkalender vor die Nase. Und mein Rektor thematisierte mein Foul in seiner wöchentlichen Rede bei der Schulvollversammlung.
Als Freiburger Lehramtsstudent für Englisch und Sport machte ich damals, 2012, nämlich gerade mein Praxissemester in Schottland, an einer Schule in einem Ort namens Dollar, wo ich zudem das Schulfußballteam betreute. Mit dem Kicken hatte ich als Knirps in March angefangen, spielte ab der D-Jugend dann beim SC. Wo mir nach der U16 unter meinem heutigen SC-Trainerkollegen Uwe Staib schmerzlich klar wurde, dass der Weg beim SC Freiburg vorerst zu Ende war. Als Student spielte ich dann mit dem Bahlinger SC in der Oberliga.
Auch in Schottland wollte ich unbedingt nebenher Vereinsfußball spielen, am liebsten in der viertklassigen League Two. Weil dorthin die Glasgow Rangers gerade insolvenzbedingt abgestiegen waren. Ich schrieb also regionale Clubs an. Und der East Stirlingshire FC lud mich zu einem Testspiel ein. Ich war irre angespannt, aber hinterher sagte der Co-Trainer: "Jungs, wir haben einen Neuen an Bord!", und meine neuen Mitspieler applaudierten. Auf der Rückfahrt sang ich und trommelte aufs Lenkrad.
Fortan spielte ich vor durchschnittlich 2.000 Heimfans im Falkirk Stadium. Wo nun immer eine deutsche Fahne auf der Tribüne flatterte und nach guten Aktionen von mir ein "Zuff, Zuff, Zuff, Zuff" erschallte. Selbst nach meiner Roten Karte gegen die Rangers verabschiedeten mich unsere Fans mit Beifall.
Im Rückspiel im ruhmreichen Ibrox Stadium sorgten dann unglaubliche 45.000 Rangers-Fans für Gänsehautatmosphäre. Die herrschte auch in den edlen Umkleiden und den Gängen voller Pokale und historischer Fotos. Ich wurde zur 75. Minute eingewechselt. Mein Vater war auch im Stadion. Und trotz der 1:3-Niederlage war’s megacool.
Aber es bleibt auch vieles anderes in Erinnerung: meine abenteuerliche Anreise auf die Insel im alten Nissan mit zehn Seiten Wegbeschreibung auf dem Beifahrersitz – nach der Kanalüberquerung Linksverkehr! Die Schule, die wie Hogwarts aus Harry Potter aussah. Meine WG mit einem Italiener, einem Franzosen und einem Spanier. Bolzplatzkicks. Oder Abende im Pub mit cooler Live-Musik. Schottland! Irgendwann muss ich da mal wieder hin.
Aufgezeichnet von Timo Tabery
Foto: Willie Vass
Dieser Text erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "Heimspiel", das hier auch im Abo erhältlich ist.