Die SC-Schiedsrichter Lukas Mayer und Fabian Lewandowski sowie Schiedsrichterbetreuer Dirk Saumer sprechen über Wertschätzung und Respekt fürs Ehrenamt und Referees im Besonderen.
Außenstehende wissen ja bekanntlich alles besser als die Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter. Können Sie uns trotzdem eine Fußballregel verraten, die dem einen oder anderen noch unbekannt sein dürfte?
Lewandowski: Da fällt mir spontan diese hier ein, die ich als junger Schiedsrichter selbst aus Unwissenheit falsch angewandt habe: Schießt ein Spieler bei einem Freistoß ins eigene Tor, etwa weil der Torwart nach einem Rückpass unter den hoppelnden Ball senst, gibt es nicht Tor fürs gegnerische Team, sondern Eckstoß. Ich hatte damals aber auf Tor entschieden ...
… und die Aufregung war riesengroß.
Lewandowski: Im Gegenteil. Niemand auf dem Feld kannte die Regel, daher war der Pfiff für alle okay.
Wir vermuten, dass Fehlentscheidungen – auch vermeintliche – nicht immer so locker oder gar kommentarlos hingenommen werden.
Mayer: Schön wär’s! Pöbeleien gehören zum Schiedsrichter-Alltag dazu, das geht von der Bundesliga bis runter in die Kreisliga – aus meiner Sicht haben sie in den letzten Jahren gar zugenommen. Leider ist es Normalität geworden, Schiris verbal anzugehen.
Bis hin zu tätlichen Angriffen, wie aktuellen Medienberichten zu entnehmen ist. „Trainer bricht Schiedsrichter die Nase“, hieß es da, oder: „Würge-Attacke auf Linienrichter“.
Saumer: Solche Vorfälle sind erschreckend. Man muss sich nur mal in junge Schiedsrichter/innen hineinversetzen, die gerade ihre ersten Spiele im Jugendbereich pfeifen, denen die Spielleitung schon alles abverlangt, und die dann zudem einer aufgebrachten Menge am Seitenrand gegenüberstehen.
Lewandowski: Wenn man ein paar Jahre dabei ist, kann man vieles besser wegstecken. Ich persönlich muss auch sagen, dass ich für manche Meckerei auch Verständnis habe, schließlich war ich selbst Spieler und weiß, wie es sich – in all den Emotionen – anfühlt, wenn eine Entscheidung – zumindest aus subjektivem Empfinden – falsch ist. Aber nicht wenige haben ihre Grenzen verloren, gehen direkt unter die Gürtellinie.
Bundesliga-Schiedsrichter Patrick Ittrich sagt dazu: „Mich stört die Selbstverständlichkeit, mit der man uns anschreit.“
Mayer: Neulich wurde ich direkt von der ersten Minute an von Spielern angegangen, dabei hatte ich doch erst einen Pfiff gemacht: den Anpfiff. Da hat man manchmal das Gefühl, als Blitzableiter herhalten zu müssen und nicht als Mensch gesehen zu werden, der nach bestem Wissen und Gewissen ein Spiel leiten möchte und
gerecht sein will.
Ein Mangel an Respekt?
Mayer: Und an Wertschätzung. Manchmal sind’s die Kleinigkeiten, die wir Amateur-Schiris uns wünschen würden. Etwa dass die Heimmannschaft uns eine Flasche Wasser und einen Müsli-Riegel bereitstellt. Stattdessen finden wir uns manchmal in einer Schiedsrichterkabine wieder, die in Wahrheit eine Abstellkammer ist, wo nebenher die Waschmaschine donnert und die ungewaschenen Trikots der B-Jugend rumliegen.
Lewandowski: Um auch von der sonnigen Seite zu berichten: Wir erleben oft genug zuvorkommende Betreuer bei den Spielen, bekommen Verpflegung, hören gar ein Lob beider Mannschaften. Aber insgesamt dürfte die Wertschätzung höher sein – vor allem der Grundrespekt vor uns und unserem Engagement. Schließlich machen wir den Job, abgesehen von einer kleinen Aufwandsentschädigung, Wochenende für Wochenende ehrenamtlich. Und sorgen somit dafür, dass Fußballspiele überhaupt stattfinden können.
Der DFB hat 2023 das „Jahr der Schiris“ ausgerufen ...
Saumer: … im Rahmen dessen es zahlreiche öffentlichkeitswirksame Aktionen gab, etwa, als Nils
Petersen gemeinsam mit dem Mainzer Profi Anton Stach eine Partie leitete. Das alles hilft, mehr Verständnis für den Job an der Pfeife zu bekommen, das Image des Schiedsrichters zu verbessern.
Lewandowski: Es gibt tolle TV-Dokus wie die ARD -Reihe „Unparteiisch“, die tiefe Einblicke in die Schiedsrichterei ermöglichen. Auch dass der Heimspieltag des SC gegen Köln im Zeichen des Ehrenamts steht, dabei besonders die Tätigkeit von uns Schiris hervorgehoben wird, ist für uns eine wunderbare Wertschätzung – und Werbung. Die Hauptsache ist, dass alle Maßnahmen den Blick auf die Schiedsrichter auch nachhaltig verändern.
Wie in vielen Bereichen der Gesellschaft herrscht auch bei den Schiedsrichtern in Deutschland Personalmangel. Laut DFB gab es 2006 bundesweit 80.000 Schiedsrichter, aktuell sind es um die 50.000.
Saumer: Nicht nur Profivereine wie der SC Freiburg, sondern auch zahlreiche Amateurvereine setzen sich daher auch aktiv dafür ein, Nachwuchs zu gewinnen. Der Bezirk Freiburg hat dieses Jahr 80 Interessierte bei zwei Neulingslehrgängen begrüßt. Diese Lehrgänge laufen über fünf Tage, verteilt auf zwei Wochenenden. Man geht das Regelwerk durch, absolviert am Ende einen schriftlichen Leistungstest, stellt seine körperliche Fitness unter Beweis – und schon darf man pfeifen. Auch im kommenden Jahr gibt es wieder Neulingslehrgänge. Hierzu stellt der SC Ende Januar Räumlichkeiten im Europa-Park Stadion zur Verfügung. Noch wichtiger, als Nachwuchs zu gewinnen, ist jedoch, ihn zu halten. Und da kommen wir wieder auf die Negativ-Beispiele zurück, die leider immer wieder auf Fußballplätzen geschehen: Wenn – gerade junge – Schiris zu viel von allen Seiten abbekommen, ist die Gefahr hoch, dass die das Pfeifen schnell wieder sein lassen.
Ihr beide aber, Lukas und Fabian, seid bis heute dabeigeblieben, und das schon seit etlichen Jahren als Schiedsrichter des SC Freiburg – dafür euch und allen anderen Schiris in Südbaden ein großes Dankeschön. Letzte Frage noch: Wie bewahrt man sich die Leidenschaft für den Job an der Pfeife trotz des mitunter rauen Gegenwinds?
Mayer: Indem man weiterhin dieses wunderbare Spiel liebt, das man trotz aller Emotionen auch fair und respektvoll führen kann.
Lewandowski: Indem man seinen Job auf dem Platz so gut wie möglich macht und sich über die kleinen Komplimente freut. Wie neulich, als ich zu einem Verein fuhr, wo ich Wochen zuvor schon mal gepfiffen hatte. Ein älterer Herr erinnerte sich an mich und bedankte sich für die gute Leistung von damals. So etwas macht einen stolz.
Interview: Christian Engel
Foto: SC Freiburg
Dieser Text erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "Heimspiel", das hier auch im Abo erhältlich ist.
Wer Fußball-Schiedsrichter werden möchte, sollte laut Südbadischem Fußballverband mindestens 14 Jahre alt sein und 20 Spielleitungen pro Saison übernehmen können. Auch im kommenden Jahr gibt es in Südbaden zahlreiche (Neulings-)Lehrgänge. Alle Infos und Termine dazu unter sbfv.de/schiedsrichter.