In der kleinen Taktikschule spricht Julian Wiedensohler, Trainer der U17-Junioren beim Sport-Club, über taktische Grundordnungen, insbesondere deren taktische Asymmetrien.
Herr Wiedensohler, warum sind taktische Grundordnungen im Fußball in aller Regel symmetrisch?
Julian Wiedensohler: Das Fußballfeld ist längs wie quer spiegelgleich, also symmetrisch. Auch wenn man die flexible Abseitslinie als Begrenzung hinzudenkt, bleibt die Längssymmetrie erhalten. So ist es nur natürlich, als Team in einer längssymmetrischen Ordnung zu agieren. Das verleiht Kompaktheit und Struktur – ähnlich etwa einer Bienenwabe, einem symmetrischen Sechseck, das sein Material optimal in Fläche, Dichte und Stabilität umsetzt.
Um stabil zu sein, spiegeln Teams mitunter zudem die Systematik des Gegners und spielen etwa gegen ein 4-2-3-1 im 4-1-4-1,
damit sich im Mittelfeld quasi von selbst Eins-gegen-Eins-Zuordnungen ergeben.
Wiedensohler: So kann es zusätzlich sinnvoll sein, im Offensivspiel nicht mit Gleichem gegen Gleiches anzukämpfen, sondern die eigenen Positionierungen asymmetrisch zu modifizieren, sodass die symmetrische Defensive des Gegners nicht mehr so gut drauf passt. So kann etwa ein Sechser im Spielaufbau in unsere letzte Linie abkippen, beispielsweise in den Raum links der Innenverteidiger. Bleibt der Gegner beharrlich in seiner Ordnung, ist der Sechser damit frei anspielbar. Unser offensivstarker linker Außenverteidiger kann zudem nach vorn rücken, und es entsteht auf links Überzahl, die wir ausspielen können.
Was wenn der Gegenspieler unseres Sechsers mit ihm mitgeht?
Wiedensohler: Dann gehen für die Innenverteidiger Passlinien durchs Zentrum auf. Der Sinn hinter Asymmetrien ist allgemein, die gegnerische Defensivordnung zu destabilisieren, durch Überladen einer Seite, dort Überzahl zu erzeugen sowie eigene Spieler in Räume zu bringen, wo sie ihre Stärken optimal entfalten können …
… im Beispiel etwa den vorrückenden linken Offensivaußenverteidiger? Könnte man die linke Seite durch einen dazukommenden Rechtsaußen zusätzlich überladen, um eine noch komfortablere Überzahl zu bekommen?
Wiedensohler: Grundsätzlich ja, in Südamerika ist das im Moment vereinzelt zu beobachten. Allerdings sollte die gegenüberliegende Seite aus meiner Sicht besetzt bleiben. Falls der Gegner – womöglich forciert durch Lockpässe – viele Spieler auf unsere überladene Seite zieht, bleibt die Option, schnell auf die ausgedünnte Seite zu verlagern, um dort einen dribbelstarken Außen in ein isoliertes Eins-gegen-Eins zu bringen. So kann das Überladen und kurzzeitige Bespielen einer Seite auch nur vorbereitenden, lockenden Charakter haben, mit dem Ziel, das Spiel auf der anderen Seite fortzusetzen.
Gibt es neben den beschriebenen fluiden Asymmetrien auch systematische?
Wiedensohler: Ja. Bei Bayern München wurde beisielsweise unter Trainer Julian Nagelsmann der schnelle linke Außenverteidiger Alphonso Davies bei Ballbesitz zum linken Offensivaußen, während sein Gegenpart auf rechts, etwa Josip Stanišić, nach innen als dritter Sechser einrückte. Aus einem 4-2-3-1 gegen den Ball wurde mit Ball ein 2-3-4-1. So entstand durch einen asymmetrischen Vorgang letztlich wieder ein symmetrisches Gebilde.
Sind auch von Grund auf asymmetrische Systematiken denkbar?
Wiedensohler: Ja. Mit der U16 haben wir etwa mal ein 3-3-3 mit Joker getestet: Die Spieler positionierten sich wie bei einem 3-4-3 mit Mittelfeldraute, nur dass die Zehnerposition frei blieb und der überzählige Spieler, der Joker, bei Ballbesitz auf der linken Spielfeldhälfte frei
agieren sollte. Also ein geregeltes Chaosmoment zur Gegnerverwirrung.
Ist Asymmetrie im Fußball grundsätzlich neu?
Wiedensohler: Nein. Die gab’s auch früher, etwa weil man besonderen Spielern taktische Freiheiten ließ. Heute werden Asymmetrien aus meiner Sicht aber planmäßiger und systematischer eingesetzt – mitunter auch beim Verteidigen: Hat zum Beispiel der Gegner einen sehr spielstarken halblinken Innenverteidiger, kann es sinnvoll sein, diesen durch einen Stürmer quasi zuzustellen. Ich zwinge das Aufbauspiel des Gegners somit auf dessen rechte Seite, auf die meine Mittelfeldspieler dann von Vornherein schon mal – asymmetrisch – hinschieben können, um auf Ballgewinne zu lauern.
Interview: Timo Tabery und Uli Fuchs
Foto: SC Freiburg
Dieser Text erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "Heimspiel", das hier auch im Abo erhältlich ist.