Drei Eckfahnen sehen

Verein
05.03.2024

In der kleinen Taktikschule geht es dieses Mal um Halbräume als Königsräume. Julian Wiedensohler, Trainer der U17-Junioren, erklärt, warum das Offensivspiel aus den Halbräumen so viele Vorteile bietet. 

Herr Wiedensohler, Räume sind im modernen Fußballsprech in aller Munde: Gefährliche Räume oder Zwischenräume – und  was sind eigentlich Halbräume, und welche Bedeutung besitzen sie?

Wiedensohler: Die zwei Halbräume verlaufen zwischen zentralem Korridor und rechtem und linkem Flügel längs über das Spielfeld. Also durch alle drei Spielfelddrittel, die wir von hinten nach vorn Zone 1, 2 und 3 nennen. Diese Spielfeldunterteilung ist heute allgemein Usus und vielerorts auf den Trainingsplätzen markiert. Im Spiel kann man sich die vertikalen Grenzen der Halbräume als Verlängerungen der seitlichen Sechzehner- und Fünferlinien denken.

Hat der Halbraum eine besondere Bedeutung für das Spiel?

Wiedensohler: Ja, das ist auch statistisch belegt. So ist die Erfolgsquote von nach vorn gespielten Pässen am höchsten, wenn sie vom Halbraum aus gespielt werden. Zudem werden fast ein Drittel aller Tore aus den Halbräumen innerhalb der Box vorbereitet: Komme ich mit einem kontrollierten Ball in diese Flächen, diesen Königsraum, habe ich also eine besonders hohe Torwahrscheinlichkeit. Vom Flügel aus ist oft nur eine hohe Flanke vor das Tor möglich, vom Halbraum in der Box eher auch ein flacher Rück- oder Querpass, was den Torabschluss vereinfacht. Womöglich ist das Tor für den Mitspieler nun sogar weit offen, weil der Torwart sich zuvor ja sehr zum Vorlagengeber hin, also ins kurze Eck, orientieren muss.

Früher hieß es: Die Tore stehen in der Mitte, also spielen wir auch durch die Mitte.

Wiedensohler: Anspiele von hinten raus ins Zentrum, etwa zum Zehner, klingen prinzipiell vielversprechend, aber im Normalfall steht der Ballempfänger dann komplett geschlossen, also mit Blick zur Mitte. Zudem ist er meist von Spielern des Gegners umringt, da der sich an der Linie vom Ball zum Tor ausrichtet …

… also primär den direkten Weg zum Tor versperrt …

Wiedensohler: ... genau, und der führt zwangsläufig oft durchs Zentrum. Im – nur ein bisschen weniger zentralen – Halbraum dagegen kann der Angespielte den Pass mit weniger Gegnerdruck und in offenerer Stellung, also mit Blick zur Mitte und nach vorne, annehmen. Wir sagen den Jungs gern: Stellt euch so, dass ihr beide Tore oder – eine in Spanien geläufige Formulierung – drei Eckfahnen sehen könnt. So hat man beste Voraussetzungen für alle Optionen der offensiven Spielfortsetzung: Dribblings, Pässe auf beide Flügel, den anderen Halbraum oder ins Zentrum, Steckpässe auf einen Einlaufenden in den Königsraum in der Box oder auch direkt zentral vors Tor. Dieser oft tödliche Pass ist vom Halbraum sogar leichter zu spielen als aus dem Zentrum, da der Passweg nicht vertikal, sondern mit Winkel, also diagonal verläuft.

Sollten Innenverteidiger nach alldem lieber keine Kurzpässe zum zentralen Sechser spielen?

Wiedensohler: Doch, aber eher, um den Gegner rauszulocken. Beispielsweise wird „kurz, kurz, lang“ gespielt: Der Sechser spielt also wieder kurz zurück, dann kommt der lange Ball, etwa hoch auf den Flügel oder auch flach über nun offene gegnerische Linien hinweg in den Halbraum. Oder aber unser Innenverteidiger spielt, etwa nach kurzem Andribbeln, gleich in den Halbraum. Dabei kann es Sinn machen, nahe des Schiedsrichters einen anspielbaren Mitspieler zu suchen: Um nicht im Weg zu sein, steht der Schiri nämlich häufig im – für Anspiele sehr attraktiven und vom Gegner oft etwas vernachlässigten – ballfernen Halbraum.

Herr Wiedensohler, wenn wir Sie richtig verstehen, gelten die Vorzüge des Spiels über den Halbraum generell, also in jedem Spielfelddrittel und unabhängig davon, ob ich etwa einen Konter fahre oder einen geordnet stehenden Gegner bespiele?

Wiedensohler: Je nach Spielidee, aber für uns lautet die Antwort: ja.. Neben den Vorteilen, die die Zentrumsspur hat, bieten die Halbräume noch zusätzliche – wie skizziert etwa in punkto Passwinkel, Gegnerdruck und offenerer Positionierung. Somit kann man aus dem Halbraum heraus leichter offensiv agieren – daher auch die hohe Erfolgsquote bei den Offensivpässen. Dennoch scheuen manche Teams Anspiele in  die Halbräume in den ersten zwei Zonen, weil ihnen etwaige Ballverluste dort zu riskant erscheinen. Sie überspielen stattdessen das Mittelfeld oder agieren frühzeitig über die Flügel.

Interview: Timo Tabery und Uli Fuchs

Dieser Text erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "Heimspiel", das hier auch im Abo erhältlich ist

 
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