Am 27. Januar 1945, vor 80 Jahren, wurde das Konzentrationslager Auschwitz befreit. Der „Erinnerungstag im deutschen Fußball“ gedenkt der verfolgten, deportierten und ermordeten Menschen während der NS-Zeit. Uwe Schellinger, Archivar des SC Freiburg, und Alexa Gattinger, Kuratorin im FC Bayern Museum, sprachen mit Heimspiel, dem Stadionmagazin des Sport-Club, über die Erinnerungsarbeit in ihren Vereinen.
Herr Schellinger, Sie waren beim Auswärtsspiel des SC Freiburg in Frankfurt, nicht nur zum Fußballschauen, sondern auch als Gast der „Waldtribüne“. Um was ging es da?
Schellinger: Auf der „Waldtribüne“ gegenüber des Eintracht-Museums gibt es zu jedem Heimspiel eine Art Vorprogramm, zu dem auch Vertreterinnen und Vertreter des Gastvereins eingeladen sind. Ich durfte von unserer Arbeit im SC-Archiv berichten, von der Museumskabine im Europa-Park Stadion und vor allem auch von der neuen Studie zum SC in der NS-Zeit. Die Einladung verdankt sich der intensiven Netzwerkarbeit der deutschen Fußballarchive und Fußballmuseen. Alexa, warst du eigentlich auch schon mal da?
Gattinger: Mehrfach. Thema war immer Erinnerungskultur, konkret Antisemitismus, da es in den Vereinsgeschichten von Eintracht Frankfurt und Bayern München viele Parallelen gibt: Beide hatten vor der
NS-Zeit viele jüdische Mitglieder und auch jüdische Entscheidungsträger.
Bezieht sich der Begriff „Erinnerungskultur“ auf Ihre Arbeit mit der Geschichte im Allgemeinen oder mit der NS-Zeit im Speziellen?
Schellinger: Natürlich befassen wir uns bei unserer Arbeit in den Archiven und Museen mit der gesamten Geschichte eines Vereins. Aber der Begriff „Erinnerungskultur“ hat sich tatsächlich etabliert für die Rückschau auf die Zeit des Nationalsozialismus.
Frau Gattinger, der FC Bayern München hat zahlreiche Formate zur Erinnerung an die eigene Geschichte entwickelt, allen voran „Rot gegen Rassismus“. Was steckt dahinter?
Gattinger: Diese Initiative gibt es seit fünf Jahren, als Reaktion auf den zunehmenden Rassismus in der Gesellschaft. In diesem Rahmen haben wir zahlreiche erinnerungspolitische Aktivitäten entwickelt, zum Beispiel organisieren wir seit einigen Jahren gemeinsam mit der Israelitischen Kultusgemeinde um Präsidentin Charlotte Knobloch Schabbatfeiern mit Mitgliedern des FC Bayern und der Gemeinde. Zudem haben wir eine Wanderausstellung, die die Zeit des FC Bayern während des Nationalsozialismus beleuchtet. Sie macht Halt an Schulen, bei Fanclubs, bei Einrichtungen. Wir haben mittlerweile auch eine spanische und englische Edition, die etwa schon in den USA oder in Mexiko zu sehen war.
Schellinger: Auch der SC Freiburg hat in den vergangenen Jahren unterschiedliche Formate im Rahmen der Erinnerungsarbeit entwickelt. Neben den Gesprächsrunden „19:04 – Zeit für GeSChichte", wurde etwa die Museumskabine im neuen Stadion eingerichtet. Schon zuvor hatte ich einen nun schon oft durchgeführten Stadtrundgang zum SC konzipiert, bei dem auch die Rolle des Vereins während der NS-Zeit und die jüdischen Vereinsmitglieder thematisiert werden. So wird etwa die Biografie des jüdischen Kaufmannes Siegmund Günzburger beleuchtet, der in den Jahren 1919 und 1920 für ein halbes Jahr 2. Vorsitzender des SC Freiburg war …
… und 23 Jahre später von den Nationalsozialisten ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde.
Schellinger: Der Sport-Club hatte seine erste offizielle Geschäftsstelle in Günzburgers damaliger Zigarren- und Zigarettenhandlung in der Freiburger Innenstadt eingerichtet. Als SC-Fans während einer Stadtführung von seiner Geschichte erfuhren, haben sie im Anschluss mit ihren Spenden einen Stolperstein zum Gedenken an Günzburger finanziert, der vergangenes Jahr vor seinem ehemaligen Geschäft eingelassen wurde – wenn man so will: ein kleiner Mosaikstein der Erinnerungsarbeit.
Ein sehr großer kam nun mit der Studie zum SC in der NS-Zeit dazu, die der Verein 2022 in Auftrag gegeben hatte und die Ende des vergangenen Jahres vorgestellt wurde.
Schellinger: Die NS-Studie liefert wichtige Antworten auf viele Fragen: wie sich etwa Funktionäre und Spieler des Vereins während der NS-Diktatur verhalten haben. Wir haben oft das Problem, dass die Täter und Mitläufer eher im Schemenhaften verbleiben, man befasst sich ungern mit ihnen. Wichtig ist, dass der SC Freiburg durch die NS-Studie, durch belegbare Fakten und Zahlen, nun eine Grundlage geschaffen hat, um verantwortlich auch mit diesem Teil seiner Geschichte verantwortlich umzugehen. Vorbild war unter anderem eine Vorgängerstudie des FC Bayern.
Gattinger: Der FC Bayern hat schon 2017 beim unabhängigen Institut für Zeitgeschichte eine NS-Studie in Auftrag gegeben. Sie ist vor zwei Jahren erschienen. Bei allem, was wir heute im historischen oder erinnerungspolitischen Kontext tun, bildet diese Studie unsere Grundlage. Sie ist ein Lehrstück darüber, wie schnell ein Unrechtstaat entstehen kann. Dieses Wissen möchten wir nutzen, um Zusammenhänge zu verdeutlichen, zwischen historischen Inhalten und rassistischen oder demokratiefeindlichen Vorfällen von heute.
Schellinger: Wichtig ist, dass wir historische Entwicklungen dokumentieren. Genauso wichtig ist aber, diese in der historisch-politischen Bildung richtig zu übersetzen – und Lehren aus der Geschichte zu ziehen, um nicht dieselben Fehler noch einmal zu machen. Erinnern allein reicht nicht, wir müssen aktiv werden. Da können gerade Fußballvereine mit ihrer Strahlkraft viel bewegen, viele Menschen erreichen, aufmerksam machen, letztlich Bildungsarbeit leisten. Die NS-Studie ist jedenfalls kein Abschluss, kein Grund, einen Haken an das Thema zu machen. Aufarbeitung und Erinnerung müssen kontinuierlich weitergehen.
Interview: Christian Engel und Uli Fuchs
Foto: Imago Images
Bildunterschrift: Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz befreit. Seit 21 Jahren gibt es rund um dieses Datum einen „Erinnerungstag im deutschen Fußball“, um mit verschiedenen Aktionen der verfolgten, deportierten und ermordeten Menschen im Nationalsozialismus zu gedenken. Und einen Beitrag dazu zu leisten, dass sich Geschichte nicht wiederholt.
Dieser Text erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "Heimspiel", das hier auch im Abo erhältlich ist.