Eine unangenehme Führungskraft macht noch lange keine unsympathische Firma. Sind die Vorgesetzten freundlich und die Hierachien flach, kann dein Arbeitsplatz aber schnell zum Paradies auf Erden werden. Von Richard Golz.
Ein freundlicher Handshake war das offensichtlich nicht. Johan Micoud war davor aber auch, ohne Chance noch an den Ball zu kommen, in mich reingerauscht. Das Spiel hatte sich da bereits zur regelrechten Abwehrschlacht für uns entwickelt, nachdem Werder eine frühe Führung von uns ausgeglichen hatte. Als Führungsspieler wollte Micoud kurz vor Ende wohl nochmal ein Zeichen setzen, weil er im – letztlich ja gewonnenen – Meisterrennen der Saison 2003/04 unbedingt drei Punkte holen wollte. Aber damit war er definitiv übers Ziel hinausgeschossen. Und gebracht hat es auch nichts, denn den Punkt konnten wir dann mit nach Freiburg nehmen.
Mir persönlich blieb als Souvenir neben dem Trikot von Ailton, mit dem ich nach dem Spiel tauschte, noch eine kleine Narbe an der Lippe, die ich seither mit der Zunge spüren kann. Schon allein deshalb bleibt mir die Szene immer in Erinnerung. Wie auch – auf deutlich angenehmere Art – die acht Jahre, die ich für den SC gespielt habe. Eigentlich war es ein Paradies. Und das vom ersten Tag an. An dem mir, kurz vor der Pressekonferenz, auf der ich vorgestellt wurde, erstmals Fritz Keller über den Weg lief und einfach nur sagte: „Wir freuen uns auf Sie.“ Der Satz hat mir so das Herz geöffnet, und ich wusste: Hier bist du richtig. Was sich dann über die ganzen acht Jahre bestätigt hat. In denen es natürlich auch mal blöde Zeiten gab, als wir abgestiegen sind, zum Beispiel. Aber auch das Verlieren gehört ja zum Sport dazu. Trotzdem waren der Umgang und die Arbeitsatmosphäre beim SC immer etwas wirklich Besonderes. Auch weil es keine starren Hierarchien gab, in denen die Alten die Chefs waren und alles regelten. Volker Finke hat sehr darauf geachtet, dass es keine solchen Seilschaften gab. Und das war eine große Chance für die vielen jungen Spieler. Von denen auch die, die es nicht geschafft haben, glaube ich, in Freiburg immer das Gefühl haben konnten, eine realistische Chance gehabt zu haben.
Ich bin sicher, dass gerade die beim SC ausgebildeten Spieler im Kopf sehr stabil sind und nicht, sobald sie ein Spiel gemacht haben, denken, sie hätten es geschafft. Die bleiben hungrig und machen weiter machen. Das scheint eine Eigenschaft zu sein, die im Verein von der ersten Minute an vermittelt wird, von allen – kontinuierlich von damals bis heute. Deshalb schaffen über die SC-Ausbildung auch so viele den Sprung in den Profifußball. Für mich liegt in dieser Arbeitshaltung auch einer der Hauptgründe, warum der Club mittlerweile europäisches Format hat und so positiv wahrgenommen wird.
Selbst als ausgewiesener HSVer und der Episode mit Johan Micoud zum Trotz ist für mich übrigens auch Werder Bremen sehr positiv besetzt: als Verein, der wie der SC immer sehr viele sehr angenehme Sportsleute hervorgebracht hat. Und wo in der Jugendausbildung traditionell auch großen Wert auf Wertevermittlung gelegt wird. Dass du, selbst wenn du es als Fußballer nicht schaffst, trotzdem ein vernünftiger Mensch bist. Da sind sich die beiden Clubs auf angenehme Art schon recht ähnlich.
Aufgezeichnet von Alexander Roth
Bildunterschrift: Nach 273 Einsätzen für den HSV hütete Richard Golz, 56, zwischen 1998 und 2006 in 219 Spielen das Tor des SC.