Der Sport-Club hat seine Zeit im Nationalsozialismus erforschen lassen. Als Beitrag zum 120-jährigen SC-Jubiläum soll das Buch "Spielball der Ideologie" auch „gegen rechtes Gedankengut immunisieren.“ Ein Gespräch mit Dr. Robert Neisen, Dr. Andreas Lehmann und Hanno Franke, Marketing und Nachhaltigkeit beim SC Freiburg.
Herr Dr. Neisen, Herr Dr. Lehmann, Sie haben die SC-Geschichte im Nationalsozialismus erforscht. „Der lange gepflegte Ruf vom Club, der sich in Opposition befand", steht im Klappentext, „lässt sich nicht länger aufrechterhalten." War der Sport-Club also ein Mitläufer-Verein wie unzählige andere?
Neisen: Er ist nicht nur mitgelaufen, er hat sich auch aktiv zu Gunsten des Regimes eingebracht, etwa durch die Ausrichtung eines „Adolf-Hitler-Spieles“. Aber das war repräsentativ für bürgerliche Fußballvereine, dass sie mehr oder weniger widerstandslos mitgemacht haben. Der SC ordnet sich da im Mittelfeld ein, aber eben keineswegs im Lager der Regimeskeptiker.
Lehmann: Eines war vor unserer Studie schon dokumentiert: Dass sich der SC 1933 bereitwillig selbst gleichgeschaltet hat. Darüber hinaus widerlegen wir den einen oder anderen Mythos. Etwa die Legende, dass SC-Mitglieder die Nazis mit Steinen beworfen hätten, als Hitler 1932 Freiburg besuchte. Einen wahren Kern gab es wohl: SC-Mitglied Willy Knobloch erzählte nach dem Krieg immer wieder, er habe damals von der Mauer des Hauptfriedhofs Steine auf Hitler geworfen. Das ist möglich – auch nach 1933 fiel Knobloch durch Widerstandsaktionen auf. Doch selbst wenn die Geschichte stimmt, war Knobloch ein Einzelfall. Kollektiven Widerstand gegen die Nazis gab es nicht.
Herr Franke, wie kam es überhaupt dazu, dass der Sport-Club diese Studie in Auftrag gab?
Franke: Los ging es mit einem von unserem Archivar Uwe Schellinger 2022 organisierten Informationsabend zum Thema, zu dem mehr Menschen kamen als zu allen anderen bisherigen Veranstaltungen der Reihe Zeit für Geschichte. Als wir dann auch von diversen Medien angesprochen wurden, reifte der Entschluss: Wir müssen unsere Hausaufgaben jetzt mal richtig machen. Die Idee, das Ergebnis im Jahr des 120-jährigen Vereinsbestehens zu präsentieren, steckte dann den zeitlichen Rahmen.
Welche der vorgeblich spärlichen Quellen zur SC-Geschichte haben Sie für die Recherchen genutzt?
Neisen: Die Quellenanlage war insgesamt ganz in Ordnung. Wir konnten zu den meisten Punkten empirisch belegbare Aussagen treffen, stießen auf aussagekräftige Schriftstücke, zogen viel Material aus Entnazifizierungsakten und den Akten von einem Wiedergutmachungsprozess. Spannende Dokumente fanden wir auch im Schriftverkehr zwischen Verein und Stadt.
Lehmann: Zugute kam uns, dass der SC Freiburg 1938 zwangsweise mit der Freiburger Turnerschaft, der FT, fusionieren musste. Bis 1952 war der Sport-Club die Fußballabteilung der FT, deren Archiv erhalten blieb. Für die Zeit von 1938 bis Kriegsende und darüber hinaus war es für uns eine sehr wertvolle Quelle.
Konnten Sie herausfinden, wie viele jüdische Mitglieder der Verein 1933 hatte, wie viele kommunistische und sozialdemokratische – und was mit ihnen in den Folgejahren passierte?
Neisen: Wir wissen tatsächlich nicht, wie viele jüdische Mitglieder der SC hatte, ob welche ausgeschlossen wurden, beziehungsweise, wann der Arierparagraf griff (eine Vorschrift, nach der nur noch „Arier“ Vereinsmitglied sein konnten; d.Red.). Wir haben das recherchiert, ohne belastbare Informationen zu erhalten. Was die Mitgliedschaft von Sozialdemokraten und Kommunisten angeht, die nach 1933 verfolgt wurden, haben wir ein paar Fälle benannt.
Zu den SC-Mythen zählt auch, dass der Verein schon qua seiner Heimat im Stadtteil Stühlinger quasi eine Art Arbeiterverein war.
Neisen: Auch um das zu belegen, hätten wir eine Mitgliederkartei benötigt. Was die Funktionäre angeht, war der SC aber eindeutig bürgerlich dominiert. Das ist durchaus typisch für Fußballvereine, die im Kaiserreich aus dem Bürgertum heraus gegründet wurden. In der Weimarer Republik wird Fußball dann auch unter Arbeitern populär, es gibt viele Spieler aus der Arbeiterschaft, was heißt: Die Basis proletarisiert sich, aber die Funktionärsebene bleibt oft bürgerlich. Das kann man auch beim SC Freiburg beobachten. Wie ebenfalls davon auszugehen ist, dass zur Mitgliedschaft nach 1918 vermehrt auch einfache Leute kamen – ohne den Sport-Club insgesamt zu einem Sympathisanten der Arbeiterbewegung zu machen oder zum Verein, der gegen die Nazis eingestellt war.
Woher rührt das Bild vom widerständlerischen SC?
Neisen: Sicher ist das auch Teil der Verdrängungsmechanismen nach 1945. Man konnte sich in die eigene Tasche lügen und es sich bequemer machen, wenn man sagte: Wir kommen ja aus dem Stühlinger, deshalb waren wir damals auch eher dagegen. Nach vergleichbaren Verdrängungsmustern sind sehr viele Vereine mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit umgegangen.
Lehmann: Deshalb haben wir entgegen der ursprünglichen Planungen das zusätzliche Kapitel „Der schwierige Umgang mit der NS-Vergangenheit“ angehängt. Dort wird der Neuanfang nach 1945 thematisiert und auch die Auseinandersetzung mit der Nazizeit. Die Recherchen bestätigten, dass die NS-Zeit im Verein lange eher totgeschwiegen oder Nachfragen dazu abgeblockt wurden. Es zeigt sich auch ein typisches Phänomen: Selbst ehemalige NS-Gegner wie Hubert Pfaff, der 1936/37 aus politischen Gründen in Haft war, haben ehemalige Nazis unter ihren Vereinskameraden in Schutz genommen. Diese Solidarität über politische Gräben hinweg hatte es übrigens auch in der NS-Zeit gegeben: So hatte ein überzeugtes NSDAP-Mitglied einen Kommunisten vor Gericht verteidigt, weil die beiden alte Vereinskameraden beim Sport-Club waren.
Die Arbeit am Buch wurde von einem Beirat begleitet: Wer saß da drin, und was war die Idee?
Franke:Im Beirat saßen die Professoren Lorenz Peiffer und Franz-Josef Brüggemeier, als Historiker ausgewiesene Experten auf dem Gebiet genauso wie Dr. Gregor Hofmann, der eine vergleichbare Studie zu Bayern München verfasst hat. Außerdem Julia Wolrab, die Leiterin des Freiburger NS-Dokumentationszentrums, der SC-Archivar Uwe Schellinger, ebenfalls Historiker, unser Aufsichtsratsvorsitzender Dr. Heinrich Breit und ich, quasi als Auftraggeber. Die Idee war, darauf zu schauen, wie gehen die Autoren vor, fehlt uns noch was, oder können wir mit den im Gremium vorhandenen Kompetenzen noch konkret was beisteuern? Es gab über die Enstehungsgeschichte des Buches hinweg vier sehr produktive Treffen, die zum guten Gelingen beitrugen.
Kann so ein Buch mit Blick auf den derzeitigen Rechtsruck auch ein warnendes Beispiel sein?
Neisen: Für die eigene Geschichte, glaube ich, für die Erinnerungskultur ist es ganz wichtig, dass man sich dieses Negativbeispiel der NS-Zeit vor Augen führt. Um sich klar zu machen, wie der Fußball auch für ganz negative Ziele instrumentalisiert werden kann. Es als Negativfolie zu nehmen, um es einfach besser zu machen.
Franke: Es hilft hoffentlich, sich zu vergegenwärtigen und vielleicht sogar in konkrete Aktivitäten münden zu lassen, was der Sport-Club sich vor Jahren schon selber in die Satzung geschrieben hat …
… Sie meinen die Passage, der Verein ist sich „seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung bewusst.“ Und weiter: „Er tritt verfassungs- und fremdenfeindlichen, rassistischen und diskriminierenden – etwa sexistischen und homophoben – Einstellungen und Bestrebungen entschieden entgegen.“
Neisen: Bestenfalls soll das Buch tatsächlich zur Immunisierung gegen rechtes Gedankengut beitragen. Das ist schon die Intention.
Lehmann: Definitiv ist sie das. Und wenn ein Verein wie der SC Freiburg sich öffentlich gegen Rassismus und Homophobie einsetzt, hat er damit natürlich eine Vorbildfunktion. Sich der eigenen Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus zu stellen, sich kritisch mit ihr auseinanderzusetzen, stärkt diese Vorbildfunktion.
Franke: Und ganz unabhängig davon: Dass wir uns als SC Freiburg der Aufarbeitung dieses Teils unserer Geschichte gestellt haben, und jetzt dieses Buch in den Händen halten und vor allem lesen können – das ist doch ganz einfach gut so.
„Spielball der Ideologie? Der SC Freiburg in der Zeit des Nationalismus" ist beim Verlag Herder erschienen und für 25 Euro in SC-Fanshops und im Buchhandel erhältlich. Am 5. Dezember, um 19.30 Uhr, lädt der SC seine Mitglieder zu einem Forum zum Buch ein, an dem auch die Autoren Robert Neisen und Andreas Lehmann teilnehmen werden.
Dr. Robert Neisen leitet das 2006 von ihm gegründete Büro für Unternehmens- und Stadtgeschichte.
Dr. Andreas Lehmann ist freiberuflicher Historiker, Autor und Kurator.
Hanno Franke ist Bereichsleiter Marketing und Nachhaltigkeit beim SC Freiburg.
Interview: Uli Fuchs und Alexander Roth
Foto: SC Freiburg
Dieser Text erschien erstmals in unserem Stadionmagazin "Heimspiel", das hier auch im Abo erhältlich ist.