"Sportclub live" – Teilhabe für alle

Verein
07.12.2024

Sie machen die SC-Spiele für sehbehinderte und blinde Fußballfans sichtbar: Die Reporter von „Sportclub live“ berichten seit zehn Jahren für Fans, bei Heim- und Auswärtsspielen. Zum Jubiläum haben wir zwei von ihnen begleitet.

David Keck und Stefan Haupt haben sich auf der Pressetribüne des Europa-Park Stadions eingerichtet. Die Technik steht, die Handgriffe sitzen, es riecht nach Pfefferminztee. Um die Stimme zu schonen und den kalten Temperaturen zu trotzen, steht der Thermobecher neben ihren Arbeitsplätzen auf der Pressetribüne bereit. Tee ist ein wichtiger Begleiter während den Reportagen. Immer wieder greifen die beiden zu ihren Bechern.

„Die Plätze sind super, wir haben eine tolle Übersicht über das Spiel“, sagt Haupt, der seit Beginn der Blindenreportage Teil des Teams ist. Sein erstes Spiel kommentierte er am 8. November 2014, SC gegen Schalke. Heute spielt der Sport-Club gegen Borussia Mönchengladbach und kurz bevor die Mannschaften aufs Feld laufen, sind die beiden schon am Berichten. „Hallo und herzlich willkommen“, begrüßt Keck die Zuhörer/innen, die auf der gegenüberliegenden Tribüne sitzen, an der Eckfahne zwischen Südtribüne und Gegengerade. Auch er ist mittlerweile schon sehr routiniert in den Abläufen und dem Kommentieren, versorgt die Rezipient/innen seit der Saison 2022/23.

„Schade, dass wir nicht erleben, wie unsere Hörer unseren Kommentar wahr- und aufnehmen“, findet Haupt trotz der eigenen guten Perspektive. Im Dreisamstadion sei das viel schöner gewesen, findet er. Dort sitzen die sehbeeinträchtigten Fans direkt vor den Kommentatoren. Zu Beginn ordnen die Reporter den Gegner ein, sprechen über die Gegebenheiten, lesen die Aufstellungen vor. „Es ist wahnsinnig kalt“, sagt Haupt. Recht hat er, aber das Gute am Kommentieren ist: Die Hände können bei diesen frostigen Temperaturen in den Jackentaschen bleiben. Und außerdem gibt’s Tee.

Bevor der Anpfiff ertönt, erzählt Haupt von den Mönchengladbacher Fans, die in ihrem Fanblock eine Choreographie präsentieren – schwarz, weiß, grüne Fahnen wedeln im Fanblock. Dann geht der Blick aufs Spielfeld. Alles muss genau beschrieben werden – die Trikotfarben, was auf den Tribünen passiert, jede Aktion sollte genau verortet werden. Ihre Zuhörer/innen haben kaum noch Sehfähigkeit.

Testparkour mit zehnprozentiger Sehstärke

Wie es ist, wenn man eine Augenkrankheit hat oder blind ist, können die Fans vor dem Spiel schon ausprobieren. Die SC-Blindenreporter und das Mainzer Projekt „T-Ohr", eine Organisation die sich zum Ziel gesetzt hat, einem weitaus größeren Anteil an Menschen barrierefreie Zugänge sowie Teilhabe an gesellschaftlichen Angeboten durch Blindenreportagen zu ermöglichen) haben an einem Stand einen Sensibilisierungsparkour angeboten. Mit verschiedenen Brillen, die unterschiedliche Formen von Sehschwächen – grauer Star, Tunnelblick, Netzhautablösung – nachahmen, konnten Freiwillige mit einem Ball durch einen Slalom dribbeln und anschließend auf ein Minitor schießen.

Man kann trotzdem nur erahnen, wie die Fans das Spiel erleben, die in O7 sitzen. Einer von ihnen ist Thorsten Sosnowski. Seit 1997 hat er eine Dauerkarte beim Sport-Club und bis 2013 konnte er die Spiele auch noch mit seinen Augen verfolgen. Dann wurde bei ihm Retinitis pigmentosa diagnostiziert, eine Augenerkrankung, die die Netzhaut Stück für Stück zerstört. „Meine Sehkraft liegt heute nur noch bei zwei Prozent“, erzählt er. Im Dreisamstadion verfolgte er die Heimspiele dennoch ohne Blindenreportage: „Meine Dauerkarte war auf der Nordtribüne und dort hatte ich nicht die Möglichkeit, die Blindenreportage zu nutzen.“

Seit dem Umzug ins Europa-Park Stadion lässt sich Sosnowski – mit SC-Fanschal und –mütze bekleidet – via Kopfhörer, die er sich bei der Ankunft am Stadion an einer dafür eingerichteten Ausgabestation abgeholt hat, vom Geschehen auf dem Platz berichten und ist dankbar für diese Möglichkeit: „Es ist toll, dass ich so trotzdem an den Spielen teilhaben kann und ich finde, die Blindenreporter machen das toll. Ich kann mir gut vorstellen, was auf dem Rasen passiert und zusammen mit der Stimmung im Stadion kann ich mir auch ganz gut zusammenreimen, was gerade los ist.“

Tee als Balsam

Heute hören Sosnowski und die anderen sehbeeinträchtigen Fans in O7, wie David Keck seine Stimme zum ersten Mal in der siebten Minute erhebt, weil die Gäste gefährlich vors Tor kommen: „…und jetzt ist es Tim Kleindienst durch die Mitte 30 Meter vor dem Tor, der Ball kommt auf die rechte Seite und dann in die Mitte rein, aber abgeblockt. Kübler kann den Ball blocken. Meine Herren, das war ganz schön eng hier.“

Mit jeder offensiven Aktion im Spiel nimmt die Sprechfrequenz zu, die Stimme wird lauter – es erinnert an Radioreportagen. Stefan Haupt beansprucht seine Stimme das erste Mal so richtig, als der SC kurz vor der Pause in Führung geht. Danach braucht er erstmal einen Schluck Tee. Der kalten Temperaturen wegen und als Balsam für die stark beanspruchten Stimmbänder.

Auch deshalb wechseln sich die Blindenreporter mit dem Kommentieren ab: „Die Stimme ist nach so einem Bundesligaspiel schon sehr angeschlagen“, erzählt Haupt, der am nächsten Tag auch noch als Livestream-Kommentator bei der U23 im Einsatz ist.

Heute kommen beide Reporter in den Genuss, ein Tor zu kommentieren: Als Ritsu Doan in der 49. Minute das 2:0 erzielt, ist Keck am Mikrofon. „Schuss“ und „Tooor“ sind eine Reihe weiter vorne auch mit Stadionatmosphäre zu hören, die Beschreibung des Tors nur über die Kopfhörer: „Lucas Höler schießt, abgewehrt. Ritsu Doan nochmal, zweite Chance, schießt und Toooor. Ha, wo kam der denn her?“ Keck ist voller Freude, genauso wie die SC-Fans, deren Torjubel auch verrät, dass der Sport-Club in Führung gegangen ist.

Räumliche Marker sind wichtig

„Tore und übersichtliche Situationen, die man früh erkennt und die dann auch so eintreten, kommentiere ich am liebsten.“ Haupt meint, dass dann ein Gefühl der Zufriedenheit einsetzt und er sich mit einem breiten Grinsen freuen würde.

„Am schwierigsten sind unübersichtliche Situationen, in denen viel direkt hintereinander passiert, weil wir eigentlich jede Aktion beschreiben müssen“, findet Keck. Direkt nach sieben Minuten müssen die Blindenreporter solch eine darlegen, als der SC den Ball im Strafraum nicht klären kann. „Räumliche Marker“, sagt Haupt, seien für die Hörer und Hörerinnen besonders wichtig: „Im Strafraum, an der Mittellinie, vor den Trainerbänken, im Gästeblock.“ Bei aller Genauigkeit darf der Witz beim Erzählen jedoch auch nicht zu kurz kommen.

Als der Schiedsrichter zur Halbzeit pfeift, wird es Zeit für frischen Tee. Ein „Sportclub live“-Kollege füllt die Becher wieder auf. Zwischenzeitlich hat auch der ehemalige SC-Spieler Daniel Schwaab neben den beiden Reporten Platz genommen. Er ist zum zehnjährigen Jubiläum als Co-Kommentator dabei.

Auch Tobias Willi saß während der Corona-Zeit schon hinter dem Mikrofon, hat das Spiel aus seiner Sicht wiedergegeben und Anekdoten erzählt. Für alle sechs Reporter gilt: Das Kommentieren ist ein Nebenjob. „Der geilste der Welt – wir gucken Fußball und sprechen darüber“, findet Mario Jonas Ködel, der auch zum Team gehört.

Von 2014 bis 2020 gab es das Angebot lediglich für Fans mit Sehbeeinträchtigung. Als Corona durchs Land zog, entschloss sich der Sport-Club, das Angebot für alle Fans zu öffnen. „Die Hörerzahlen schwanken“, geben die Blindenreporter zu, aber das Wichtigste sei doch, dass der Job so viel Spaß mache.

Und auch nach dem letzten Wort am heutigen Spieltag, an dem Haupt und Keck mal wieder über einen SC-Sieg berichten durften, darf ein Schluck Tee nicht fehlen. Damit die Stimme auch das Spiel der U23 übersteht – und noch viele mehr.

Isabel Betz

Foto: SC Freiburg

 
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