Das Bundesliga-Team der SC-Frauen setzte beim gestrigen Spiel in Leipzig am !NieWieder-Erinnerungstag im deutschen Fußball ein Zeichen gegen Diskriminierung und für Vielfalt, Demokratie und Respekt. SC-Kapitänin Hasret Kayikçi im Gespräch über ihre persönlichen Erfahrungen mit Diskriminierung und die Rolle des Fußballs.
Das Team trug Sweatshirts mit der Aufschrift #everynamecounts. Partner badenova unterstützte die Aktion und verzichtete zugunsten der Kampagne auf seine Logopräsenz. #everynamecounts ist eine Initiative der „Arolsen Archives“, dem internationalen Zentrum über Verfolgung in Zeiten des Nationalsozialismus mit dem weltweit umfassendsten Archiv zu NS-Opfern und Überlebenden. Namen und Daten von Opfern sowie Überlebenden des Nationalsozialismus werden hier erfasst und ins Digitale übertragen. Helfen kann dabei jede/r – einfach die Webseite aufrufen, den Digitalisierungsprozess starten und den Namen einer Person abtippen. Weitere Informationen gibt es hier.
Hasret, wie wird man denn Kapitänin vom SC Freiburg?
Als Kind habe ich jede freie Minute auf dem Bolzplatz verbracht. Ich bin eigentlich nur zum Essen und Schlafen nach Hause gegangen. Bei meinem Heimatverein in Heidelberg habe ich so lange bei den Jungs mitgespielt, wie es ging. Mit 16 kam ich dann in die Frauenmannschaft vom FCR Duisburg und drei Jahre später zum SC Freiburg. Seit 2021 bin ich hier Kapitänin. Bei uns werden die Kapitänin und der Mannschaftsrat vom Team gewählt und nicht einfach „bestimmt“ wie in manchen anderen Vereinen. Das finde ich auch richtig so, denn es geht ja auch um die Interessen der Mannschaft. Wenn die mich wählen, weiß ich, dass ich sie hinter mir habe.
Also bist Du richtig demokratisch gewählt. Was bedeutet Demokratie für Dich als Bürgerin?
Demokratie finde ich superwichtig für unser Land. Aber im Moment mache ich mir schon Sorgen darum. Man sieht ja, dass die Stimmung hier sehr aufgeheizt ist. Parteien, die meiner Ansicht nach gar keine demokratischen Werte vertreten, bekommen immer mehr Stimmen. Ich kann mir ein Deutschland ohne Demokratie aber gar nicht vorstellen, weil ich ja damit aufgewachsen bin. Deshalb hoffe ich auch wirklich, dass hier niemals zur Debatte steht, sie abzuschaffen.
Ihr setzt euch jetzt als Verein für #everynamecounts ein. Und erinnert damit an eine Zeit, in der es eben keine Demokratie gab und Millionen Menschen verfolgt wurden, auch Sportler/innen.
Mit dem Erinnern will man ja erreichen, dass sowas nie wieder passiert. Als ich damals mit der Schule eine KZ-Gedenkstätte besucht habe, war ich total schockiert. Diese ganzen Orte und Räume zu sehen – das war echt nochmal was Anderes, als nur darüber zu lesen. Ich habe mir #everynamecounts schon genauer angeschaut und gesehen, wie man diese ganzen Namen und Dokumente digitalisiert. Ich finde, das ist ein super Projekt, weil es dafür sorgt, dass diese Menschen nicht in Vergessenheit geraten. Viele Kinder und Jugendliche sind heute vielleicht zu weit weg von der Historie. Deshalb ist es wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass es diese schreckliche Verfolgung gab. Und dass das nie wieder passieren darf.
Welche Rolle kann ein Fußballverein dabei spielen?
Die Vereine müssen sich für solche Themen einsetzen, weil sie so eine große Reichweite haben. Wir können so viele Menschen erreichen. Vor allem auch junge Fans, die uns Spieler/innen als Vorbilder haben und zu uns aufschauen. Deshalb müssen alle ihre Stimme nutzen und für die richtigen Werte eintreten.
Für welche Werte trittst Du persönlich ein?
Jeder Mensch hat Respekt verdient, so haben meine Eltern mich erzogen. Egal, wie man aussieht, welchen Job man hat, ob man arm oder reich ist – alle Menschen sind gleich viel wert. Für mich gibt es ein Herzensthema, das mir wichtig ist: Ich bin Botschafterin der „Sport-Quartiere“, da gehen wir Spieler/innen an verschiedene Bolzplätze in der Stadt und trainieren mit den Kindern. Ich glaube, Sport ist wichtig für eine unbeschwerte Kindheit. Den Kindern will ich vermitteln, dass sie werden können, was sie wollen, egal welchen Hintergrund sie haben. Sie sollen sich niemals einreden lassen, dass sie irgendwas nicht können.
Welchen Beitrag kann Fußball heute leisten für eine vielfältige Gesellschaft?
Aus meiner Sicht steht Fußball für Vielfalt und ist für alle da. Er bringt Menschen aus den verschiedenen Kulturen zusammen. Als Kinder auf dem Bolzplatz waren wir irgendwie alle gleich. Was zählt ist, wer du bist und nicht, woher du kommst. Genau dafür stehen wir als Verein. Für Vielfalt und Respekt zu sorgen, das gehört auch zu meinen Aufgaben als Kapitänin, finde ich. In der Mannschaft muss jeder sein können, wie er ist. Jeder soll sich wohlfühlen und keine Angst haben, irgendwas Falsches zu sagen oder zu tun.
Setzt man sich im Frauenfußball nochmal mehr mit Diskriminierung auseinander?
Wir müssen uns schon mit vielen Themen beschäftigen, die nichts mit dem Spielen zu tun haben. Aber jetzt wird zumindest mal mehr geredet über Frauenfußball. Vorher hatte man immer so das Gefühl, allein gegen die ganzen Missstände anzukämpfen. Frauen werden ja leider oft benachteiligt, auch in anderen Branchen. Beim Fußball denken aber viele: Die Männer verdienen Millionen, also werden die Frauen wohl auch genügend bekommen. Nur wenige von uns können aber von den Gehältern derzeit gut leben, ohne noch etwas nebenher zu machen. Gleichzeitig investieren wir superviel Zeit in den Sport und müssen total flexibel sein für die Spiele und Trainingseinheiten. Wir machen das aus Liebe zum Fußball und zu den Fans. Aber wir können noch nicht von Profisport sprechen.
Hattet ihr als Mannschaft schon mal direkt mit Diskriminierung oder Ausgrenzung zu tun?
Gott sei Dank noch nicht. Aber ich habe dafür einen ganz klaren Plan im Kopf. Wenn rassistische Beleidigungen oder Diskriminierungen irgendwann mal unsere Mannschaft treffen würden oder auch die gegnerische Mannschaft: Wir würden sofort geschlossen vom Platz runtergehen. Das sind auch Werte, hinter denen alle stehen, das ganze Team und der Verein. Da gibt es keine Diskussion.
Welche Erfahrungen hattest Du persönlich mit Rassismus, Diskriminierung oder Ausgrenzung?
Ich hatte schon immer mit Vorurteilen zu tun, das kenne ich gar nicht anders. Einfach wegen meiner Herkunft. Ich bin ja hier geboren, aber meine Eltern kommen aus der Türkei. Wahrscheinlich können das echt nur Leute verstehen, die auch einen Migrationshintergrund haben. Sonst kann man sich das nicht vorstellen. Wenn ich irgendwo hinkomme und mich mit meinem Namen vorstelle, stoße ich oft auf Ablehnung.
Wie äußert sich das denn?
Das sind so Kleinigkeiten. Ich hatte zwar immer relativ viel Glück und bin nie so richtig rassistisch angegriffen worden. Aber als Kind musste ich mir schon sowas anhören wie „geh doch in dein Land zurück“. Und im Alltag hat man es einfach immer schwerer. Bei Bewerbungen und auf Wohnungssuche zum Beispiel. Ich werde ja oft gar nicht erst zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Weil ich türkisch bin, nicht wegen meiner Qualifikation. Im Gegensatz zu anderen Nationalitäten, die hier aufgewachsen sind, bewundert mich auch keiner für meine Zweisprachigkeit. Türkisch ist halt irgendwie mit mehr Vorurteilen behaftet.
Was wünschst Du Dir für die Zukunft, Hasret – auch mit Blick auf das Thema Ausgrenzung, über das wir heute so viel gesprochen haben?
Ich wünsche mir vor allem, dass alle Spielerinnen gesund bleiben. Außerdem wollen wir jetzt eine richtig gute Rückrunde spielen. Was Rassismus und Diskriminierung betrifft: Es wäre schön, wenn man sich darüber irgendwann mal weniger Gedanken machen müsste. Zum Beispiel denke ich darüber nach, ob ich meinen Kindern, wenn ich irgendwann mal welche haben sollte, einen türkische Namen geben kann. So wie ich es erlebt habe, müssten sie dann aber vermutlich auf viele Chancen verzichten als mit einem deutschen Namen. Andererseits wäre das aber auch total gegen meine persönlichen Werte. Es ist traurig, sich darüber Gedanken machen zu müssen und ich hoffe, dass sich das zukünftig ändert.
Interview: Sonja Fischer, Arolsen Archives
Foto: SC Freiburg